Das Hochfeld-Magnetlabor in Dresden
Jochen Wosnitza
Als internationales Nutzerlabor für die weltweite Forschergemeinde stellt das Hochfeld-Magnetlabor Dresden (HLD) im Forschungszentrum Dresden-Rossendorf sehr hohe gepulste Magnetfelder mit der nötigen experimentellen Infrastruktur zur Verfügung, die einzigartige neue Untersuchungen für die Naturwissenschaften erlauben.
Wie genau reagieren Materialien auf äußere Magnetfelder? Gibt es gar neues, unbekanntes Verhalten der Materie in hohen Magnetfeldern? Dies sind die Art von Fragen, die im HLD angegangen werden. So haben magnetische Felder, ähnlich wie zum Beispiel Druck und Temperatur, einen tiefgreifenden Einfluss auf den Zustand und auf Zustandsänderungen der Materie.
Untersuchungen von Materialien in hohen Magnetfeldern gehören mittlerweile zum Forschungsstandard und eine Vielzahl von Anwendungen in unserem täglichen Leben ist ohne Magnetfeldeffekte undenkbar. In der Forschung wird der stetig wachsende Bedarf an möglichst großen Magnetfeldstärken durch Hochfeldlaboratorien abgedeckt. In dem neuen Hochfeld-Magnetlabor Dresden sollen zukünftig gepulste Magnetfelder bis zu 100 Tesla erzeugt werden – das entspricht dem rund Zweimillionenfachen des Magnetfelds der Erde. Wann die 100 Tesla-Grenze geknackt werden wird, steht noch nicht fest. Denn die Pulsspulen sind so genannte Risikokonstruktionen, bei denen von vornherein noch nicht feststeht, ob sie den gewaltigen Belastungen beim Einsatz standhalten können. Im Februar 2009 gelang es den Forschern des HLD jedoch bereits, den Europarekord mit 87,2 Tesla zu erringen. Einzig das Hochfeldlabor im amerikanischen Los Alamos kann stärkere Felder von 90 Tesla erzeugen – das HLD ist also schon knapp am Weltrekord. Neben der Eigenforschung sind seit 2007 auch Hochfeldmagnete für den Nutzerbetrieb im Einsatz.
Im Mai 2003 begann der Bau des Hochfeld-Magnetlabors auf Empfehlung des Deutschen Wissenschaftsrats, nachdem fünf Dresdner Wissenschaftsgruppen das Projekt vorgeschlagen hatten. Pünktlich wurde die Großanlage im Jahre 2006 auf dem Gelände des Forschungszentrums Dresden-Rossendorf, etwa 17 Kilometer vom Stadtzentrum Dresdens entfernt, fertig gestellt. Bereits zu Beginn des Jahres 2007 konnten die ersten Nutzer ihre wissenschaftlichen Experimente in gepulsten, also kurzzeitig über eine Dauer von einigen Millisekunden bis zu wenigen Sekunden bestehenden, Magnetfeldern durchführen.
Ein europäisches Nutzerlabor
Wissenschaftler weltweit können Anträge auf Messzeit stellen. Ein international besetztes Gremium begutachtet diese Anträge für alle großen europäischen Magnetfeldlaboratorien (in Grenoble, Nijmegen, Toulouse und Dresden). Für die positiv evaluierten Anträge stellen diese vier Laboratorien dann Messzeit und Unterstützung vor Ort zur Verfügung.
Für die Nutzer steht eine breite Palette von Messmethoden in einer Reihe von Magneten bereit. Diese Magnete erzeugen gepulste Magnetfelder von etwa 55 bis weit über 80 Tesla bei Pulszeiten von 10 Millisekunden bis über eine Sekunde. Dank der rasanten Entwicklung neuer messtechnischer Verfahren kann eine Vielzahl physikalischer Messgrößen über den gesamten Magnetfeldpuls mit hoher zeitlicher Auflösung bestimmt werden, trotz der scheinbar kurzen Pulszeiten im Millisekundenbereich. Eine weltweit einmalige Besonderheit ist die Verbindung der hohen Magnetfelder mit dem infraroten Licht der direkt benachbarten Freie-Elektronen-Laser (FEL) des Linearbeschleunigers ELBE. Diese Kombination aus FEL und hohen Magnetfeldern erlaubt zum Beispiel Messungen des quantenphysikalischen Effekts der Elektronenspin-Resonanz in bisher unzugänglichen Magnetfeld- und Energiebereichen.
Dabei bereiten die extremen Feldstärken jedoch keine Probleme für andere Messungen in der Nähe der Pulsfeldspulen. Da die Magnetfeldstärke von Spulen sehr schnell mit dem Abstand abfällt, entstehen während eines Pulses außerhalb der Pulsfeldzellen nur sehr schwache Magnetfelder. Diese sind in der Tat so schwach, dass in einem 20 Meter entfernten Labor ungestört Messungen mit einem höchstempfindlichen Magnetfeldsensor durchgeführt werden können.
Extreme Felder – einmalige Energieversorgung
Zur Felderzeugung in den so genannten Pulsfeldmagnetspulen werden hohe elektrische Ströme eingesetzt. Um diese Ströme effizient und schnell bereitzustellen, wird eine am HLD entwickelte moderne Hochenergie-Kondensatorbank verwendet. Sie enthält 500 Kondensatoren, die eine Gesamtenergie von 50 Megajoule speichern können. Zum Vergleich: Das entspricht etwa dem Dreißigfachen der Bewegungsenergie eines Autos, das mit 200 Kilometern pro Stunde über die Autobahn rast. Zur Erzeugung eines Magnetpulses wird die Kondensatorbank innerhalb von etwa 90 Sekunden kostengünstig aus dem normalen Stromnetz mit niedriger Leistung bis auf eine Spannung von maximal 24.000 Volt aufgeladen. Die in den Kondensatoren gespeicherte Energie gelangt dann über elektronische Schalter bei extrem hohen Entladeströmen von bis zu 400.000 Ampere in die Pulsfeldmagnetspulen. Diese Art der Energieversorgung des HLD ist weltweit einmalig.
An den Grenzen der Belastbarkeit
Der Bau von Magnetfeldspulen, die Felder oberhalb von 30 oder gar 50 Tesla erzeugen, ist eine große technische Herausforderung. Bei statischen, also zeitlich konstanten, Magnetfeldern beschränken technologische, aber auch finanzielle Gründe die maximal erreichbaren Flussdichten auf Werte unterhalb von 50 Tesla. Höhere Feldstärken können nur gepulst erreicht werden, da die entstehende Wärme in den Magnetspulen nicht mehr effektiv abgeführt werden kann. Die Pulszeiten können maximal ca. eine Sekunde bei Feldern bis 60 Tesla oder einige zehn Millisekunden bei Feldern über 80 Tesla betragen. Während eines Magnetfeldpulses erwärmen sich die mit flüssigem Stickstoff gekühlten Spulen von 77 Kelvin (zirka –196 Grad Celsius) auf etwa Raumtemperatur.
Bereits ab 50 Tesla wirken enorm starke elektrische, thermische und mechanische Belastungen auf die Spulen. Sie stellen höchste Anforderungen an die verwendeten Materialien, deren Verarbeitung und das Design. Besonders anspruchsvoll ist die mechanische Belastung, die durch die hohen Ströme bei gleichzeitig hohem Magnetfeld über die so genannte Lorentz-Kraft erzeugt wird. Bei 100 Tesla treten in den Spulen mechanische Zugspannungen von etwa 4 Gigapascal auf, die nur von wenigen speziellen Kunstfasern abgefangen werden können. Zum Vergleich: Ein typisches Stahlseil zerreißt bereits bei einer Belastung von rund einem Gigapascal. Dementsprechend aufwändig gestaltet sich die Konstruktion von Pulsfeldspulen. Für Magnetfelder oberhalb von ca. 75 Tesla setzt man nicht mehr große Einzelspulen ein, sondern Multispulensysteme, die aus konzentrisch ineinander montierten Einzelspulen bestehen.
Jenseits der Belastbarkeit
Die Pulsfeldmagnete werden im Betrieb nahe an ihren Materialgrenzen betrieben. Daher ist es jederzeit möglich, dass ein Magnet während eines Magnetpulses zerbricht. Aus diesem Grund befinden sich die Pulsmagnete hinter fast meterdicken Wänden in speziell konstruierten Zellen, die eventuell entstehende Fragmente sicher auffangen. Während eines Pulses müssen die Zellen geräumt, die Sicherheitstüren verschlossen und die Sicherheitssysteme frei geschaltet werden. Nur dann erlaubt die Sicherheitsautomatik dem Nutzer, die Kondensatorbank zu laden und einen Magnetfeldpuls auszulösen.
Durch die extremen Belastungen während des Betriebs ist bereits eine Spule einer älteren Konstruktionsreihe zerborsten. Dank der Sicherheitsmaßnahmen kam es jedoch zu keinen schweren Schäden – lediglich der Laborraum wurde durch die Lichtbogenentladung der defekten Zuleitung völlig verrußt.
Das HLD – eine Quelle der Innovation
Magnetische Effekte haben schon seit jeher eine große technologische Rolle gespielt. In der heutigen Technik verstärkt sich dieser Trend zusehends – von Elektromotoren über Festplatten und M-RAM-Speicher bis zum Kernspintomografen basieren viele Anwendungen unseres alltäglichen Lebens auf Phänomenen des Magnetismus. Dank des HLD haben Wissenschaftler nun in Europa Zugriff auf einzigartige experimentelle Möglichkeiten, um Materialien in extrem hohen Magnetfeldern zu erforschen.
Das HLD auf einen Blick
- Im Hochfeld-Magnetlabor Dresden am Forschungszentrum Dresden-Rossendorf wird Materie in sehr hohen Magnetfeldern untersucht.
- Die von 10 Millisekunden bis einer Sekunde langen Magnetfeldpulse erreichen Feldstärken bis 100 Tesla.
- Die weltweit einmalige Energieversorgung besteht aus 500 Kondensatoren, die einen elektrischen Strom von 400 kA liefern.
- Die Kombination von HLD und benachbarten Freie-Elektronen-Lasern ermöglicht einzigartige Experimente.
- Das HLD steht Forschern aus aller Welt zur Verfügung und wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Land Sachsen finanziert.
Welt der Physik CC by-nc-nd
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/analyse-von-materialien/hochfeld-magnetlabor/