Atmosphäre im Hochleistungsrechner
Supercomputer dienen Wissenschaftlern unter anderem als virtuelles Mikroskop, Labor oder Teleskop. Manche Forscher sagen damit sogar die Vorgänge in der Erdatmosphäre voraus.
Ein Leben ohne Wettervorhersage, berechnet von den Computern der Wetterdienste, ist für den modernen Menschen kaum vorstellbar. Wissenschaftler wie Hendrik Elbern vom Forschungszentrum Jülich setzen Computersimulationen noch weitergehend ein: Sie prognostizieren, was die Luft der nächsten Tage mit sich bringen wird – welche Menge an Ozon, welche Mengen an Stick- und Schwefeloxide oder wie viel Feinstaub.
Für diese „chemische Wettervorhersage“ entwickelt und betreibt der Atmosphärenforscher gemeinsam mit Wissenschaftlern aus dem Rheinischen Institut für Umweltforschung der Universität zu Köln ein Modell namens EURAD-IM. „Wir sagen damit täglich die Luftqualität über Europa und über einzelnen Regionen wie etwa dem Ruhrgebiet vorher. Das Ergebnis ist für jedermann im Internet abrufbar“, berichtet Elbern. Die Daten auf der Internetseite sind beispielsweise wichtig für Asthmatiker, Allergiker oder Freizeitsportler.
Das Computermodell wird noch für andere Zwecke eingesetzt. Der Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull legte 2010 den Flugverkehr in großen Teilen Europas lahm. Die Forscher aus Jülich und Köln haben damals simuliert, wie sich die Aschewolke ausbreiten wird. „Messungen haben später gezeigt, dass die Vorhersagen in den wesentlichen Punkten gut gestimmt haben“, sagt Elbern. Auch Umweltämter und andere Behörden schätzen die neuen Möglichkeiten durch die Computersimulationen. Mit ihrer Hilfe lässt sich beispielsweise verstehen, warum Luftreinhaltungsmaßnahmen wie Fahrverbotszonen an bestimmten Tagen erfolgreich sind und an anderen nicht.
Wie bei der klassischen Wettervorhersage steht und fällt der Nutzen der chemischen Vorhersage mit ihrer Zuverlässigkeit. „Um genauere Prognosen und Abweichungen angeben zu können, wollen wir künftig sogenannte Ensemble-Simulationen durchführen. Dabei wird eine Prognose nicht nur einmal, sondern hundertmal durchgerechnet“, erläutert Elbern. Die Forscher verändern dafür leicht die Anfangsbedingungen oder setzen unterschiedliche Computermodelle ein. EURAD-IM ist zwar ein in Deutschland einzigartiges Projekt, aber es gibt ähnliche Modelle von anderen Forschergruppen, deren Vorhersagen durchaus voneinander abweichen.
Code mit zehn Millionen Zeilen
Für solche Rechnungen benötigen die Forscher die Rechenkraft von extrem leistungsstarken Supercomputern. Bis Mitte 2012 stand dafür JUGENE zur Verfügung, mittlerweile ist sein Nachfolger, Petafloprechner JUQUEEN, in Betrieb. Wissenschaftler des Jülicher Simulation Laboratory (SimLab) Climate Sciences haben Elbern dabei unterstützt, die Ensemble-Simulationen auf JUGENE mit seinen 72.000 Prozessoren und einer Rechenleistung von 25.000 PCs zum Laufen zu bringen.
„Es ist schon eine Herausforderung, Klimamodelle mit einem Programmcode von typischerweise zehn Millionen Zeilen fit für die Jülicher Supercomputer zu machen“, sagt Lars Hoffmann, Leiter des SimLabs Climate Sciences. SimLabs gibt es am Jülich Supercomputing Centre (JSC) auch für andere Bereiche wie etwa die Plasmaphysik oder die Biologie. Die Wissenschaftler dort verknüpfen ihre Kompetenz für das hochparallele Rechnen auf Supercomputern mit der jeweiligen fachspezifischen Forschung.
Der Stratosphärenforscher Rolf Müller vom Institut für Energie- und Klimaforschung arbeitet ebenfalls eng zusammen mit seinen Kollegen am JSC. Er und sein Team nutzen vor allem JuRoPA – einen Rechner, den Ingenieure des JSC, des französischen Hardware-Herstellers Bull und der Münchner Softwarefirma ParTec gemeinsam entwickelt haben. Die Forscher um Müller simulieren darauf unter anderem die Vorgänge, die zum Ozonloch über der Arktis führen. „Mit unserem Computermodell CLaMS können wir die Verhältnisse im Polarwirbel sehr detailliert beschreiben – und auch sehr hoch liegende Wolken berücksichtigen, die beim Ozonabbau eine wichtige Rolle spielen“, erläutert Müller.
Ozonabbau vorhersagen
Zum Abgleich mit der Realität greifen die Wissenschaftler unter anderem auf die Daten des Projekts RECONCILE zurück. Marc von Hobe vom Forschungszentrum Jülich koordinierte Anfang 2010 diese internationale Messkampagne über der Arktis. Bei den Flügen erfassten die Forscher den Ozonabbau über der Nordhalbkugel während eines rekordkalten Winters mit besonders ausgeprägter Wolkenbildung in der Atmosphäre oberhalb einer Höhe von acht Kilometern. Rund ein Jahr später, im Frühling 2011, entstand das größte Ozonloch, das jemals über der Nordhalbkugel beobachtet wurde. „Diese extremen Situationen müssen wir möglichst gut verstehen und simulieren, um dann die künftige Entwicklung der Ozonschicht möglichst wirklichkeitsnah und vertrauenswürdig vorausberechnen zu können“, so Müller.
Forschen in Jülich 1/2011 gemäß den Bedingungen der Quelle
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/atmosphaere/klimaforschung/atmosphaere-im-hochleistungsrechner/