„Die Schadstoffe im Permafrost setzen sich in Bewegung“
Denise Müller-Dum und Jens Kube
Dauerhaft eingefrorener Boden, sogenannter Permafrost, bedeckt etwa ein Viertel der Landfläche auf der Nordhalbkugel. Aufgrund des menschengemachten Klimawandels tauen diese Böden allmählich auf. Dabei werden nicht nur klimaschädliche Treibhausgase, sondern wahrscheinlich auch Schadstoffe aus der Industrie freigesetzt. Moritz Langer, Forscher am Alfred-Wegener-Institut in Potsdam und der Freien Universität Amsterdam, gibt im Interview mit Welt der Physik einen Überblick über dieses drohende Umweltproblem.
Welt der Physik: Was ist Permafrost?
Moritz Langer: Als Permafrost bezeichnet man Böden, die über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren eine Temperatur von unter null Grad Celsius aufweisen – die also dauerhaft eingefroren sind. Das kann bei allen möglichen Bodentypen auftreten, beispielsweise bei Torf oder auch bei Gesteinen. Es spielt dabei keine Rolle, ob Eis im Boden vorhanden ist. Wir finden Permafrost in unserer Hemisphäre nördlich von 55 bis 60 Grad Breite in Nordamerika, Europa und Russland und in Höhenlagen, also etwa in den Alpen oder im Himalaya. Insgesamt ist etwa ein Viertel der Landfläche auf der Nordhalbkugel von Permafrostböden bedeckt.
Welche Rolle spielt Permafrost im Klimasystem der Erde?
Permafrost hat die wichtige Eigenschaft, dass er Dinge fixiert: Alles, was im Boden drin ist, bleibt dort erstmal eingeschlossen. Das gilt auch für Kohlenstoff, der zum Beispiel aus Pflanzenresten stammt. Er ist im Permafrost eingelagert, somit aus der Atmosphäre entfernt, und kann nicht in Form von Kohlenstoffdioxid zum Treibhauseffekt beitragen. Die große Frage ist: Was passiert, wenn der Permafrost aufgrund der globalen Erwärmung auftaut? Wir erwarten, dass sich der gespeicherte Kohlenstoff dann in Bewegung setzt und Bakterien ihn zersetzen. Dadurch werden wiederum Treibhausgase freigesetzt, die den Klimawandel weiter befeuern werden. Das passiert aktuell auch schon: Wir beobachten überall in der Arktis, dass der Permafrost anfängt zu tauen. Das lässt sich mit Satelliten genau beobachten. Man sieht dann von oben Wasserpfützen und andere Erosionserscheinungen auf der Oberfläche.
In Ihrer aktuellen Studie nehmen Sie eine weitere Folge des tauenden Permafrosts in den Blick. Welche ist das?
Wenn der Permafrost taut, wird nicht nur der Kohlenstoff mobil, sondern auch alles andere, was darin gespeichert ist – zum Beispiel Schadstoffe, die für Menschen und Tiere giftig sind. Außerdem sackt der Boden ab, sodass darauf stehende Infrastruktur beschädigt werden kann und Kontaminationsereignisse wahrscheinlicher werden. Im Jahr 2020 sind in einer Nickelmine im Norden Russlands 17 000 Tonnen Diesel ausgelaufen, wahrscheinlich weil der Permafrostboden darunter instabil wurde. Das haben wir zum Anlass genommen zu überlegen, wie viele Industriestandorte es auf arktischem Permafrost gibt und welche Substanzen dort potenziell zutage gefördert werden, wenn der Permafrost auftaut.
Wie haben Sie sich einen Überblick über die Lage verschafft?
Wir haben vor allem frei zugängliche Daten ausgewertet, um herauszufinden, wie viele Industriestandorte es in der Arktis und insbesondere auf dem arktischen Permafrost gibt. Unter anderem haben wir Daten von Open Street Map herangezogen und so zwischen 3000 und 5000 Industriestandorte identifiziert, von denen wir vermuten, dass sie auf Permafrostböden stehen. Viele davon dienen der Gewinnung von Rohstoffen wie Gas, Öl, Nickel, Zink und so weiter. Es gibt aber auch forstwirtschaftliche Betriebe und Militäranlagen. In einem zweiten Schritt haben wir diese Daten mit bekannten Kontaminationsereignissen abgeglichen. In Alaska und Kanada gibt es dafür glücklicherweise Datenbanken. So konnten wir schnell feststellen, dass bestimmte Industrietypen mit einem hohen Risiko für Kontamination verbunden sind – etwa durch Schwermetalle, organische Schadstoffe und vereinzelt sogar durch radioaktives Material. Manche dieser Schadstoffe werden sogar absichtlich in den Permafrost eingelagert, weil er dort vermeintlich eingekapselt ist.
Und wie haben Sie sich die Situation in Sibirien erschlossen?
Mithilfe eines statistischen Modells haben wir den Zusammenhang zwischen Industrietyp und Kontaminationsrisiko, das wir in Nordamerika gefunden haben, auch auf die großen Permafrostregionen in Sibirien übertragen. Das ist natürlich ein bisschen gewagt, weil man davon ausgeht, dass ähnliche Umweltstandards gelten. Um diese Annahme abzusichern, mussten wir weitere Daten erheben und haben dafür online verfügbare Medienberichte zu Kontaminationsereignissen in Russland durchforstet. Das waren nicht sehr viele. Sie ließen aber erkennen, dass der Zusammenhang ähnlich ist, unsere Hochrechnung also grundsätzlich zuverlässig ist. Trotzdem gibt es noch Unsicherheiten. Das wahre Ausmaß könnte viel größer sein als in unserer Studie berechnet.
Was passiert nun mit all diesen Schadstoffen, wenn der Permafrost schmilzt?
Wenn der Permafrost schmilzt, so wie unsere Klimamodelle es vorhersagen, dann setzen sich die dort eingelagerten Schadstoffe in Bewegung. Sie können in Seen und Flüsse geraten oder tiefer in den Boden einsacken. Mit einem von uns entwickelten Computermodell können wir die Veränderung des Permafrosts für verschiedene Klimaszenarien simulieren. Dabei haben wir festgestellt, dass selbst bei einem optimistischen Klimaszenario von weniger als zwei Grad Celsius Erwärmung der Boden unter einem großen Teil der Standorte abtauen wird.
Was sollte also getan werden?
Man sollte anfangen, sich Gedanken zu machen, was man mit diesen Standorten macht – allzu viel Zeit haben wir nicht mehr! Jetzt kommt man noch gut mit schwerem Gerät dorthin, um kontaminierte Flächen aufzuräumen und den Abfall zu beseitigen. Aber bald wird der Permafrost in vielen Regionen tauen, und dann hat man dort eine Sumpflandschaft. Man sollte deshalb jetzt schnell priorisieren und die am stärksten betroffenen Standorte zügig aufräumen und bestehende Anlagen absichern.
Welchen Beitrag kann Ihre Forschung zu diesem Problem leisten?
Wir werden uns jetzt einzelne Regionen im Detail anschauen und dort das Risiko bewerten. Dazu nutzen wir für die jeweilige Region angepasste Computermodelle, werden aber auch mithilfe der Kolleginnen und Kollegen vor Ort Proben nehmen. Solche Messdaten brauchen wir, um dann tatsächlich die Modelle zu optimieren und bessere Vorhersagen machen zu können.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/atmosphaere/klimaforschung/die-schadstoffe-im-permafrost-setzen-sich-in-bewegung/