„Wir wissen noch nicht, wie der Jetstream sich verändert“

Denise Müller-Dum und Jens Kube

Luftbild: Dünnes Wolkenband über einem Ozean

NASA

An der Grenze zwischen der kalten Polarluft und der warmen subtropischen Luft verläuft ein Starkwindband – der Jetstream. Obwohl dieses Phänomen in rund zehn Kilometern Höhe auftritt, beeinflusst es das Wetter am Boden. Unter anderem wurde der Jetstream in der Vergangenheit für Hitzewellen mitverantwortlich gemacht. Eine wichtige Frage ist deswegen, wie sich der Jetstream durch den menschengemachten Klimawandel verändern wird. Volkmar Wirth von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz erzählt im Interview mit Welt der Physik, warum diese Frage äußerst komplex ist und welche Anstrengungen Forschende unternehmen, um sie zu klären.

Welt der Physik: Was versteht man unter dem Jetstream?

Porträt des Wissenschaftlers Volkmar Wirth

Volkmar Wirth

Volkmar Wirth: Der Polarfront-Jetstream ist ein Starkwindband über den mittleren Breiten in etwa zehn Kilometern Höhe. In dieser Höhe fliegen auch Passagierflugzeuge. Der Wind weht dort grundsätzlich von West nach Ost und kann Geschwindigkeiten von bis zu 400 Kilometern pro Stunde erreichen. Daher dauert ein Flug von Frankfurt nach New York etwa eine Stunde länger als umgekehrt, also von New York nach Frankfurt. Denn in der einen Richtung hat man aufgrund des Polarfront-Jetstreams Gegenwind und in der anderen Richtung Rückenwind. Es gibt einen solchen Jetstream auch auf der Südhalbkugel und jeweils in beiden Hemisphären einen Subtropen-Jetstream, der näher am Äquator liegt. Im Übrigen gibt es Jetstreams nicht nur auf der Erde, sondern auch auf anderen Planeten wie Jupiter oder Saturn. Wenn bei uns in Europa in den Medien vom Jetstream die Rede ist, ist meist der Polarfront-Jetstream auf der Nordhalbkugel gemeint.

Wie kommt der Polarfront-Jetstream zustande?

Dass in rund zehn Kilometern Höhe in den mittleren Breiten Westwind herrscht, liegt letztlich daran, dass die Atmosphäre in den Tropen wärmer ist als in den Polargebieten. Dieser Temperaturunterschied ist in dieser Höhe mit einem horizontalen Druckgefälle zwischen Pol und Äquator verknüpft. Auf Luftpakete wirkt aber nicht nur die damit verbundene Druckkraft, sondern aufgrund der Erddrehung auch noch die Corioliskraft. Auf lange Sicht stellen sich die Windverhältnisse so ein, dass sich die Druckkraft und die Corioliskraft auf einzelne Luftpakete näherungsweise kompensieren. Dies ist auf beiden Hemisphären dann der Fall, wenn Westwind herrscht. Warum diese Westwinde aber in Starkwindbändern, also Jetstreams, konzentriert sind, ist eine deutlich komplexere Frage. Denn zusätzlich zu dieser großskaligen Strömung spielen auch Wellen und Wirbel eine wichtige Rolle. Am Ende kann man den Jetstream als emergentes Phänomen interpretieren, also als eine Struktur, welche aus diesen komplexen Wechselwirkungen hervorgeht.

Anhand welcher Eigenschaften lässt sich der Jetstream charakterisieren?

Da gibt es zum einen die Stärke, also die Windgeschwindigkeit des Jetstreams. Außerdem betrachtet man seine Wellenform. Es gibt nämlich Ausschläge seiner Lage in Richtung Äquator – die sogenannten Tröge – und in Richtung Pol – die sogenannten Rücken. Dieses Phänomen nennen wir „Rossby-Wellen“. Diese lassen sich anhand ihrer Amplitude charakterisieren, also zum Beispiel wie weit der Ausschlag nach Norden oder Süden ist. Außerdem lässt sich die Phasengeschwindigkeit der Rossby-Wellen bestimmen. Das ist die Geschwindigkeit, mit der sich die Wellenmuster fortbewegen.

Dünnes Wolkenband über einem Ozean vom Weltall aus fotografiert

Jestream über Kanada

Wie beeinflusst der Jetstream in zehn Kilometern Höhe denn das Wetter in den mittleren Breiten?

Die Wetterphänomene, die wir in Bodennähe beobachten, hängen oftmals mit den Eigenschaften des Jetstreams zusammen. Wenn dieser im Sommer beispielsweise lokal einen Rücken aufweist, beobachtet man dort meist schönes Wetter. Bleibt der Rücken längere Zeit an einem Ort, kann eine Hitzewelle entstehen. Ein Trog im Jetstream ist hingegen eher mit einem Tiefdruckgebiet am Boden verknüpft. Und auch hier ist es so, dass langanhaltende Regenfälle und daraus resultierende Überschwemmungen meistens mit einem ortsfesten Trog im Jetstream zusammenhängen. Interessanterweise deuten neuere Forschungsergebnisse darauf hin, dass es auch umgekehrt einen Einfluss der Witterungsverhältnisse am Boden auf den Jetstream gibt.

Lässt sich sagen, wie sich der Jetstream durch den menschengemachten Klimawandel ändern wird?

Es gibt einige Studien, die globale Temperaturveränderungen und die Windstärke des Jetstreams miteinander verknüpfen. Die Polargebiete erwärmen sich nämlich schneller als der Rest des Planeten, wodurch der Temperaturunterschied zwischen Subtropen und Polargebieten abnimmt. Die frühen Arbeiten haben daraus abgeleitet, dass der Jetstream schwächer und welliger wird. Doch aus meiner Sicht haben es sich diese Autorinnen und Autoren zu einfach gemacht und Ursache und Wirkung nicht sauber getrennt. Diese Argumente ignorieren, dass das Temperaturgefälle nur in den unteren Kilometern der Atmosphäre abnimmt, in den höheren Schichten hingegen zunimmt. Sie vernachlässigen zudem die Rolle der Wirbel, die an der Entstehung des Jetstreams maßgeblich beteiligt sind. Außerdem ist es bisher noch unklar, ob eine mögliche Abschwächung des Jetstreams die Amplitude der Rossby-Wellen eher verstärkt oder eher abschwächt.

Mit welchen Daten haben Sie nun die bisherigen Veränderungen des Jetstreams untersucht?

Mein Mitarbeiter Georgios Fragkoulidis hat für den Zeitraum von 1979 bis 2019 sogenannte Reanalysedaten ausgewertet. Das sind keine reinen Messdaten, denn die werden immer nur lokal erhoben. Reanalysedaten werden durch ein Verfahren gesammelt, bei dem lokale Messdaten mit globalen Wettervorhersagemodellen kombiniert werden. Das ist eine hochkomplexe Angelegenheit, mit der ein globaler Datensatz über große Zeiträume erzeugt wird. Dieser ist nicht perfekt, aber großskalige Phänomene wie Rossby-Wellen lassen sich damit sehr gut untersuchen. Georgios Fragkoulidis hat sich nun die Windgeschwindigkeit, Phasengeschwindigkeit und Amplitude der Wellen angeschaut.

Grafik: verschieden eingefärbte, gewundene Bänder zeigen unterschiedliche Windgeschwindigkeiten und Stromlinien an

Windgeschwindigkeit und Stromlinien

Was ist dabei herausgekommen?

Eine pauschale Aussage über die Änderungen des Jetstreams ist kaum möglich, denn die Ergebnisse fallen sowohl regional als auch jahreszeitenbedingt völlig unterschiedlich aus. So hat in vielen Gebieten der nördlichen Hemisphäre die Amplitude der Wellen im Winter in den letzten Jahren eher zugenommen, im Sommer eher abgenommen. Die Phasengeschwindigkeit hat sich in den letzten 40 Jahren insbesondere in Europa nicht signifikant verändert. Die Sache ist also sehr komplex.

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Frage nach der zukünftigen Veränderung des Jetstreams?

Die natürliche Variabilität des Jetstreams ist sehr groß. Deshalb können wir aus den bisherigen Daten noch nichts darüber aussagen, wie dieser sich durch den menschengemachten Klimawandel verändert. Das heißt aber nicht, dass es keine systematische Änderung geben kann oder geben wird. Dies ist sehr wohl möglich und daher eine wichtige Frage, weil eine Veränderung des Jetstreams zum Beispiel auch die Dauer von Extremwetterereignissen wie Starkregen oder Hitzewellen beeinflussen könnte. Wir müssen uns nur eingestehen, dass wir aktuell noch nicht genug über den Jetstream wissen. Das soll aber nicht davon ablenken, dass wir einen menschengemachten Klimawandel haben und möglichst schnell drastische Maßnahmen zu seiner Bekämpfung einleiten sollten.

Wie ließe sich die Zukunft des Jetstreams genauer vorhersagen?

Aktuell liefern die verschiedenen Klimamodelle, die man miteinander vergleicht, um Aussagen über die Zukunft zu machen, beim Jetstream noch keine einheitlichen Ergebnisse. Um die Modelle zu verbessern, brauchen wir einerseits eine höhere Auflösung, aber auch ein besseres theoretisches Verständnis der Atmosphärendynamik – letzteres ist mir als theoretischer Meteorologe natürlich ein besonderes Anliegen.

Was wollen Sie als nächstes erforschen?

Ich persönlich beschäftige mich zusammen mit einer Kollegin aus Tel Aviv mit dem Thema Resonanz: Die Rossby-Wellen auf dem Jetstream können einmal um die ganze Erde rumlaufen, und dann beißt sich sozusagen die Katze in den Schwanz. Die Wellen können sich dann überlagern und dadurch stärker werden. Ich möchte herausfinden, welche Rolle diese Resonanz für die Atmosphärendynamik und speziell für das Auftreten von Extremwetter spielt.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/atmosphaere/klimaforschung/wir-wissen-noch-nicht-wie-der-jetstream-sich-veraendert/