Maß nehmen im Meer

Sven Titz

Foto. Blick aus der Luft senkrecht nach unten auf eine Wasserfläche. Männer in einem Schlauchboot setzen ein Gerät ins Wasser, das einem Torpedo ähnelt. Das Gerät ist etwa 150 Zentimeter lang und hat kurze Flügel an der Seite und ein Steuerruder am

Die Weltmeere zu vermessen ist eine gewaltige Aufgabe. Mit Schiffen, Satelliten, Bojen, fest installierten Sensoren und autonomen Tauchrobotern erfassen Wissenschaftler schon heute Messdaten von weiten Teilen der Ozeane. Neue Instrumente sollen es künftig ermöglichen, noch tiefer und zielgenauer zu blicken.

Sie bedecken rund siebzig Prozent des Erdballs und reichen an manchen Orten mehr als zehn Kilometer tief – die Ozeane. Ein so weit ausgedehntes Objekt umfassend wissenschaftlich zu vermessen, erscheint nahezu aussichtslos. Doch in den letzten Jahrzehnten ist man diesem Ziel schon sehr nah gekommen: Mit Bojen und Schiffen, Satelliten, Flugzeugen, autonomen Tauchrobotern und weiteren Geräten spüren Wissenschaftler immer umfassender den Veränderungen nach, die in den Weltmeeren auf vom Menschen verursachte oder auf natürliche Art und Weise ablaufen.

Infografik. Weltkarte mit sehr vielen Punkten in den Ozeanen. Die Punkte sind etwas unregelmäßig verteilt. Im Prinzip gibt es aber überall in den Ozeanen Punkte. Die einzige Ausnahme ist der Arktische Ozean.

Forschungsbojen

Ein herausragendes Beispiel für den Nutzen von Forschungsbojen ist „Argo“, ein weltumspannendes Projekt, das als eines der wichtigsten der modernen Klimaforschung angesehen werden kann. 1999 wurde es ins Leben gerufen. Das Ziel von Argo ist es, ständig ein aktuelles dreidimensionales Bild wesentlicher Ozeaneigenschaften zu gewinnen – also inklusive systematischer Vertikalprofile, ähnlich wie Meteorologen dies mit Wetterballons schon seit Jahrzehnten in der Atmosphäre tun. Die Vermessung der Weltmeere durch Argo basiert heute auf mehr als 3900 Bojen. Sie dümpeln nicht nur vor sich hin, sondern tauchen auch regelmäßig ab, bis zu 2000 Meter tief. Beim Wiederaufstieg zeichnen sie physikalische, chemische und biologische Messwerte auf. Immer wenn die Bojen an die Meeresoberfläche zurückkehren, funken sie ihre Daten zur wissenschaftlichen Analyse an Land.

Zufrieden sind Ozeanforscher mit dem Umfang der Messungen allerdings noch nicht. Denn weite Gebiete der Meere reichen tiefer als 2000 Meter – diese Regionen werden durch Argo also nicht erfasst. In der Tiefsee aber tummeln sich nicht bloß bizarre Lebewesen; auch für die Klimaforschung birgt die Tiefsee noch Rätsel. Zum Beispiel wüssten Wissenschaftler gerne genauer, wie weit und wie schnell die globale Erwärmung in die tiefen Wasserschichten vordringt. Anhand dieser Werte könnten sie ihre Rechenmodelle zur Simulation des Klimawandels präziser machen, also auch mit höherer Gewissheit sagen, wie stark die Temperatur in Zukunft ansteigen wird.

Bojen voller Hightech

Es gibt zwar schon Messungen in tiefen Ozeanschichten, aber noch längst nicht genug. Argo-Bojen können bisher nicht bis in die Tiefsee hinabtauchen: Die umhüllenden Aluminiumzylinder würde der Wasserdruck ab einer Tiefe von 2600 Metern einfach zerquetschen. Darum werden zurzeit für das Anschlussprojekt „Deep Argo“ neue Bojentypen entwickelt – vor allem in den USA, Japan und Frankreich. Die Scripps Institution of Oceanography in Kalifornien zum Beispiel probiert es mit kugelförmigen Glasbojen.

Foto. Blick aus der Luft senkrecht nach unten auf eine Wasserfläche. Männer in einem Schlauchboot setzen ein Gerät ins Wasser ab, das einem Torpedo ähnelt. Das Gerät ist ungefähr 150 Zentimeter lang und hat kurze Flügel an der Seite und ein Steuerruder am Heck.

Argo-Gleiter

Durch die Bauform sollen sie dem Druck gut standhalten können. In Tests erreichten die Glassphären schon unbeschadet eine Tiefe von 6000 Metern. Eine weitere Unzulänglichkeit bei Argo ist die Navigation. Denn in welche Richtung sich die Bojen horizontal bewegen, lässt sich kaum beeinflussen. Einmal ausgesetzt, treiben sie einfach mit den Meeresströmungen davon. Es bleibt also nichts anderes übrig, als in Ozeangebieten, wo Argo gerade unterrepräsentiert ist, immer wieder neue Bojen auszusetzen.

Aus diesem Grund sind inzwischen autonome Argo-Gleiter konzipiert worden – zum Beispiel am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Die Argo-Gleiter sind ähnlich gebaut wie die Tauchbojen, haben aber kurze Flügel und ein Steuerruder, sodass sie sich per Satellitennavigation in begrenztem Umfang steuern lassen. Noch sind nur wenige dieser Apparate in den Weltmeeren unterwegs; sie müssen zunächst ausführlich getestet werden.

Ausbau eines Meeresobservatoriums

Neben mobilen Instrumenten nutzen Forscher zur Vermessung der Meere auch verankerte Instrumente – wenn auch nur an ausgewählten Orten. Einer dieser Orte ist die Framstraße, die sich zwischen Grönland und Spitzbergen erstreckt. Seit 1999 beobachten Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven dort die arktische Tiefsee. Die bereits installierten Messinstrumente werden seit 2014 zu einem interdisziplinären Meeresobservatorium für Langzeitbeobachtungen ausgebaut. FRAM, kurz für Frontiers in Arctic Marine Monitoring, lautet der Name dieser neuen Einrichtung.

„Irgendwann wurde uns klar, dass unsere international einzigartige Zeitreihe in der arktischen Tiefsee moderne biogeochemische Sensoren und neue Plattformen braucht“, erzählt Anke Boetius, eine der beiden Koordinatoren von FRAM. Was den Forschern in der Framstraße bisher fehlte, waren kontinuierliche Messungen an der Meeresoberfläche und in der Wasserschicht bis fünfzig Meter Tiefe, so die Mikrobiologin weiter. Denn im rauen arktischen Winter Messdaten nahe der Oberfläche zu erheben sei schwierig. Driftende Eisschollen können gewöhnliche Bojen beispielsweise aus der Verankerung reißen – und die Messergebnisse unbrauchbar machen.

Foto. Auf einer verschneiten Eisscholle öffnen vermummte Menschen zwei Holzkisten, die sich auf einem Schlitten befinden. Im Vordergrund steht eine Boje neben einem Loch im Eis. Auf der Boje sind verschiedene Sensoren installiert. In der Ferne ist ein Forschungsschiff zu erkennen.

Installation einer Eisboje

Eine wichtige neue Ergänzung bei FRAM sind Bojen, die auf Eisschollen verankert werden und mit ihnen über den Arktischen Ozean treiben. Sie sitzen in den Eisschollen fest und ragen oben und unten heraus. Am unteren Ende können per Draht Messinstrumente befestigt werden, am oberen Ende werden meteorologische Messwerte erfasst, und die Bojen kommunizieren dort mit Satelliten. „Die Erneuerung erlaubt uns, auch im Winter und in der zentralen Arktis unter dem Eis synchron physikalische und chemische, aber auch biologische Daten zu erheben.“ Damit sollen sich dann nicht nur langfristige ozeanographische Veränderungen durch den Klimawandel aufzeichnen lassen, sondern auch biologische und biogeochemische Folgen.

Die Lebensdauer solcher „Eisbojen“ ist allerdings begrenzt. Es sei zum Beispiel schon passiert, so Boetius, dass neugierige Eisbären den oben herausschauenden Teil einfach abgenagt oder umgeworfen hätten. Sofern das nicht geschieht, endet die Messfahrt spätestens, sobald die Eisschollen geschmolzen sind. Manche Bojen schwimmen anschließend weiter, bis ein Schiff sie findet und an Bord nimmt. Von Juni bis Oktober 2016 wollen die AWI-Forscher eine Reihe weiterer Techniken ausprobieren. Ständig kommen neue Geräte und Sensoren auf den Markt. Darunter sind zum Beispiel autonome Unterwasserroboter, die unter das Meereis tauchen und auch wieder zurückkehren können. Bis 2020 soll FRAM komplett sein. So lange wollen die Wissenschaftler testen, welche Instrumente und Plattformen sich optimal ergänzen und möglichst lange die extremen Bedingungen in der Arktis aushalten.

Schiffe für Kampagnen, Satelliten für das große Ganze

Auch Forschungsschiffe wie die deutschen Exemplare „Polarstern“ und „Meteor“, die ständig irgendwo auf den Weltmeeren unterwegs sind, spielen nach wie vor eine entscheidende Rolle bei der Erkundung der Ozeane. Dank der umfassenden Ausrüstung eignen sich Forschungsschiffe vor allem für gezielte Kampagnen zu speziellen Fragestellungen.

 Foto auf dem offenen Meer. Ein mittelgroßes Schiff, auf dem mehrere Kräne installiert sind.

Forschungsschiff „Sonne“

Zuletzt wurde die Flotte im November 2014 ergänzt: Die „Sonne“ ist das aktuell modernste Schiff, das für alle Arten der Meeresforschung ausgerüstet wurde. Im April 2016 nutzten es Forscher zum Beispiel zur Vermessung unterseeischer Hangrutschungen in der Umgebung von Neuseeland. Ein Meeresbodenbohrgerät entnahm zu diesem Zweck Proben aus Sedimenten. Das Bohrgerät wurde am Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen entwickelt.

Im Lauf des Jahres 2016 beginnen Wissenschaftler außerdem, an dem Konzept für einen Nachfolger der Forschungsschiffe Meteor und Poseidon zu arbeiten. Das neue Schiff soll künftig die Aufgaben von beiden Vorgängern übernehmen. Für einen flächendeckenden Überblick über das Geschehen an der Oberfläche der Weltozeane sorgen Forschungssatelliten, die von den drei wichtigsten Weltraumbehörden NASA (USA), ESA (Europa) und JAXA (Japan) betrieben werden. Sie registrieren den Anstieg des Meeresspiegels, die Wassertemperatur, Strömungsänderungen und die Wellenhöhe, aber auch so subtile Phänomene wie das Auftreten von Algenblüten.

Auch in Zukunft werden Meeresforscher nicht auf das intelligente Zusammenspiel ihrer verschiedenen Messinstrumente verzichten können, wenn sie sich einen umfassenden Blick auf die Ozeane erhalten wollen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/atmosphaere/meere/mass-nehmen-im-meer/