Die Polarstern – Forschung in Arktis und Antarktis
Sie hatten schon viel gesehen. Aber das war für die Besatzungsmitglieder der Polarstern neu: Im August 2008 durften sie zum ersten Mal durch die Nordwestpassage steuern – jene Schiffsroute im Norden Kanadas, die den Weg zwischen Atlantik und Pazifik verkürzt. Satellitenbilder und Beobachtungen vor Ort hatten gezeigt: Das Eis war dünn genug, um die Fahrt zu wagen. Und es kam sogar noch besser. Weil auch das Meer an der Küste Sibiriens schiffbar war, kehrte die Polarstern im Herbst über die Nordostpassage nach Deutschland zurück.
Von den ungewöhnlich günstigen Eisverhältnissen im hohen Norden profitierte mit der Polarstern das wichtigste Forschungsschiff Deutschlands. Es gilt als „Arbeitspferd“ der Polarforscher. Mit einer Gesamtlänge von 118 Metern und einem Gewicht von 11.900 bis 17.300 Tonnen – je nach Beladung – legte die Polarstern seit ihrem Stapellauf im Jahr 1982 einen Weg von sage und schreibe 2,4 Millionen Kilometern zurück – das entspricht 57 Mal der Länge des Äquators!
Immer wieder pendelte das Schiff dabei zwischen Arktis und Antarktis hin und her. Denn ein echter Eisbrecher ist die Polarstern nicht – selbst wenn sie als „Eis brechend“ bezeichnet wird. Darum stößt das Schiff vor allem im Spätsommer der jeweiligen Halbkugel in polare Breiten vor, wenn die Eisdecke dünner und weniger ausgedehnt ist als im Winter. Solange das Meereis nicht viel dicker als ein Meter ist, kann die Polarstern weiterfahren, auch wenn das Eis sie etwas bremst.
In seinen 26 Betriebsjahren wurde das Forschungsschiff für zahlreiche naturwissenschaftliche Studien eingesetzt – dazu zählen auch Untersuchungen mit physikalischem Hintergrund, etwa in der Meteorologie, Ozeanografie, Glaziologie und Geophysik.
So wurde zum Beispiel in den 1990er-Jahren mit Sonarsystemen der Boden des arktischen Ozeanbeckens vermessen. Es stellte sich heraus, dass sich im Nordpolarbereich Sedimentlagen von bis zu 2000 Meter Dicke abgelagert haben. Diese Daten dienten unter anderem zur Vorbereitung von Bohrexpeditionen, die mit anderen Schiffen durchgeführt werden.
In den Jahren 1995 und 2001 untersuchten Forscher mit der Polarstern ein Meeresgebiet südwestlich von Chile. Sie wollten einem mutmaßlichen Asteroideneinschlag auf die Spur kommen. Anhand von Sondierungen und Bodenproben ermittelten sie, dass dort vor 2,5 Millionen Jahren ein Himmelskörper mit einem Durchmesser von einem Kilometer eingeschlagen sein muss. Er dürfte den Ozean förmlich zum Kochen gebracht und zig Meter hohe Tsunamis ausgelöst haben. Heute zeugt in dem Gebiet am Meeresboden eine zerklüftete Gebirgslandschaft von dem einstigen Einschlag.
An Bord der Polarstern befindet sich auch ein meteorologisches Observatorium. Vorrangig dient es dazu, das Schiff sicher zu navigieren. Außerdem wachen die Wetterforscher über die Starts und Landungen der Hubschrauber, die auf der Polarstern stationiert sind. Aber die Daten des Observatoriums fließen natürlich auch in das globale Wetterstationsnetz für die Wettervorhersage und in die Forschung ein. Zum Beispiel lassen die Meteorologen häufig mehrmals am Tag Wetterballone steigen – eine Rarität in polaren Breiten. Auf diese Weise ermitteln sie Temperatur- und Windprofile, mit denen sich Modelle zur Berechnung der Klimaentwicklung überprüfen lassen.
Ähnliches gilt für die ozeanografischen Messdaten, die mit der Polarstern erhoben werden konnten, in erster Linie Temperaturen und Salzgehalte. Vor allem die Strömungen im Arktischen Ozean geben noch viele Rätsel auf. Die Polarstern half dabei, wichtige Messsensoren im Arktischen Becken zu verankern. Die Framstraße zwischen Spitzbergen und Grönland ist dabei von herausragender Bedeutung, denn durch diese Meeresstraße strömt warmes Wasser aus dem Atlantik in geringer Tiefe in die Arktis ein. Am Rand des Kontinentalabhangs wandern die Wassermassen gegen den Uhrzeigersinn um den Nordpol herum und vermischen sich dabei mit anderen Strömungen, etwa aus dem Pazifik. Die Untersuchungen mit der Polarstern können unter anderem dabei helfen, das Schicksal des in den letzten Jahren schrumpfenden Meereises vorherzusagen, das auch von den warmen Ozeanströmungen beeinflusst wird.
Für das Weltklima besonders relevant ist zudem ein Vorgang in der Grönlandsee, der bis in große Ozeantiefen hinab reichen kann: die so genannte Tiefenkonvektion – eine tief reichende Durchmischung des Wassers. Sondierungen mit der Polarstern ergaben, dass diese Konvektion sehr viel variabler ist als gedacht. In den letzten Jahren, in denen sich der Arktische Ozean an der Oberfläche um mehr als ein halbes Grad Celsius erwärmte, sind die Konvektionsereignisse seltener geworden und sie reichen nicht mehr so tief wie früher. Das liegt zum einen an der Erwärmung des Wassers, zum anderen aber auch daran, dass der Salzgehalt gesunken ist. Warmes salzarmes Wasser ist aber leichter als kaltes, salzreiches. Darum sinkt es nicht mehr ab – die Konvektion bleibt aus. Manche Forscher vermuten, dass dies die Meeresströmungen im ganzen Atlantik beeinflussen könnte.
Zu guter Letzt wird mithilfe der Polarstern natürlich die Dicke von Eisschollen gemessen. Dies geschieht nicht nur direkt vom Schiff aus, sondern dazu fliegen auch Forscher mit einem Hubschrauber über das Eis. Die Messmethode, 2001 erstmals getestet, ist raffiniert: Mit einem reflektierten Laserstrahl wird die Entfernung zur Oberfläche des Eises gemessen. Die Entfernung vom Hubschrauber bis zum Wasser unter dem Eis bestimmt man anhand eines elektromagnetischen Induktionsverfahrens. Die Differenz der beiden Messwerte ergibt dann die Eisdicke.
Die Polarstern hat zwar schon 26 Dienstjahre hinter sich, aber sie dürfte noch viele weitere Jahre durch die Weltmeere schippern. Seit 2006 wird sie durch das moderne Eisrandforschungsschiff Maria S. Merian entlastet.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/atmosphaere/polarforschung/polarstern/