„Extrem oder nicht – der Klimawandel prägt das Wetter jeden Tag“

Der Klimawandel wird immer stärker und damit nehmen auch die Wetterextreme deutlich zu. Forschende haben nun ein neues Simulationswerkzeug entwickelt, mit dem sich der Einfluss der Klimaerwärmung auf das Wetter nachvollziehen lässt. Im Interview spricht Helge Gößling vom Alfred-Wegener-Institut über die Hintergründe

Dirk Eidemüller

Landkarte Europas, auf der ein Wolkenband zu sehen ist, das über Mitteleuropa liegt

FrankRamspott/iStock

Welt der Physik: Extremwetterlagen nehmen auf der ganzen Welt zu und es kommt zum Beispiel immer häufiger zu Dürren oder heftigen Niederschlägen. Welche Rolle spielt dabei der Klimawandel?

Porträt des Wissenschaftlers Helge Gößling

Helge Gößling

Helge Gößling: Das Wetter hat natürlicherweise eine enorme Schwankungsbreite. Demgegenüber lässt sich der Einfluss des Klimawandels nicht so einfach dingfest machen. Es ist ein wenig so, als wollte man aus einer stark verrauschten Aufnahme das Musikstück extrahieren. Der Klimawandel sorgt zum Beispiel dafür, dass die Luft wärmer wird und dadurch mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann. Dadurch werden Extremniederschläge wahrscheinlicher. Zugleich gibt es aber auch mehr Tage ohne Regen und neben Hitzeperioden werden vielerorts auch Dürren wahrscheinlicher. Aber dies sind generelle Aussagen, die sich erstmal nicht ohne weiteres auf jedes Wetterereignis, egal wann und wo, beziehen lassen.

Mit einem neuen Simulationswerkzeug wollen Sie aber genau diesen Einfluss untersuchen, oder?

Genau. Mit den Methoden der sogenannten Attributionsforschung können wir bereits seit einigen Jahren Aussagen darüber treffen, inwieweit konkrete Extremereignisse durch den menschengemachten Klimawandel wahrscheinlicher geworden sind. Wir ergänzen nun diesen Methodenkasten, indem wir noch weitere Fragen stellen: Wie sähe eine heutige Wetterlage aus, wenn sie in einer Welt ohne Klimawandel – also in der vorindustriellen Zeit vor rund 200 Jahren – oder in einer stark erwärmten Zukunft stattfände? Also wenn sich die mittleren Temperaturen etwa um ganze vier Grad Celsius erhöht hätten? Dazu füttern wir die heutige Wetterlage, also insbesondere die großräumigen Luftströmungen in der Atmosphäre, in ein Klimamodell. Dann schauen wir uns an, was sich verändert, wenn zum Beispiel andere Treibhausgaskonzentrationen vorliegen.

Womit wäre in einer um vier Grad Celsius wärmeren Welt zu rechnen?

Drei Deutschlandkarten nebeneinander: In der Mitte zeigt Temperaturen überwiegend im mittleren 30er-Grad-Bereich; links davon eine Karte mit Temperaturen, die drei bis fünf Grad Celsius niedriger sind; ganz rechts eine Karte mit Temperaturen deutlich über 40 Grad Celsius.

Simulationen von Tageshöchsttemperaturen

Vier Grad Celsius extra wäre schon eine drastische Erwärmung, bei der zahlreiche Regionen auf unserem Planeten kaum noch für den Menschen bewohnbar wären. Wir haben dieses Szenario auch für sommerliche Hitzeperioden in unseren Breitengraden untersucht. Dabei kann es bei besonders heißen Wetterlagen wie im Juli 2019 zu Temperaturen weit über den damals gemessenen 40 Grad Celsius kommen – etwa bis zu 47 Grad Celsius in Köln. Eine durchschnittliche globale Erwärmung von vier Grad kann also zu deutlich höheren Extremwerten führen. Solche Aussichten sind nicht besonders lustig. Gegenwärtig steuern wir auf eine Erwärmung um mindestens zwei Grad Celsius zu. Leider sind die globalen Anstrengungen zur Begrenzung des Klimawandels noch sehr unzureichend. Deshalb erscheint es leider nicht mehr realistisch, das Ziel einer globalen Erwärmung von deutlich unter 2 Grad Celsius einzuhalten, wie es im Pariser Klimaabkommen eigentlich beschlossen wurde.

Was lässt sich zu Niederschlagsereignissen sagen?

Dieses Jahr gab es in Europa einige schwere Unwetter mit Überschwemmungen und leider auch etlichen Toten – vor allem in Spanien, aber etwa auch in Mitteleuropa beim Tief „Boris“. Wir haben dieses Sturmtief durchgerechnet und festgestellt, dass es ohne Klimaerwärmung rund neun Prozent weniger Niederschlag mit sich gebracht hätte.

Das klingt erst einmal nach nicht besonders viel.

Ja, aber wenn man berücksichtigt, dass ein gewisser Teil des Wassers versickert oder von Flüssen abtransportiert wird, dann sind es oft diese letzten paar Prozent zusätzlich, die für große Schäden sorgen können. Denn diese können dafür verantwortlich sein, dass Flüsse über die Ufer treten und Deiche überlaufen oder gar brechen. An solchen Ereignissen lässt sich ablesen, dass das weitere Voranschreiten des Klimawandels für immer größere Probleme sorgen wird. Wir sollten deshalb dringend darauf hinarbeiten, dass die Erwärmung nicht allzu stark über zwei Grad hinausschießt. Wir sehen mit unseren Simulationen auch nochmal, dass es sich lohnt, um jedes Zehntelgrad zu kämpfen.

Kann man die Simulationen irgendwo einsehen?

Wir haben unser Simulationswerkzeug online unter dem Projektnamen „AWI Climate Storylines“ zugänglich gemacht, sodass Forschende und interessierte Personen sich die verschiedenen Szenarien selbst anschauen können. Da das Ganze ein wenig Rechenzeit braucht, können wir keine tagesaktuellen Simulationen anbieten, sondern nur mit einigen Tagen Verzögerung. Zwar handelt es sich erstmal nur um einen Prototyp, basierend auf einem einzelnen Klimamodell. Aber man kann trotzdem schon ein besseres Gefühl für den Fingerabdruck des Klimawandels an jedem einzelnen Tag bekommen. Manche Änderungen sehen gar nicht dramatisch aus. So verschieben sich etwa Niederschlagsereignisse manchmal einfach, wenn die Erde wärmer wird. Aber die Zunahme der Extremwetterlagen lässt sich an vielen Beispielen sehen.

Wenn Sie Videos von YouTube anschauen, werden Daten an YouTube in die USA übermittelt.

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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/atmosphaere/wetter/klimaforschung-gebiet-erde-atmosphaere-wetter-klimaforschung-der-klimawandel-praegt-das-wetter-jeden-tag/