„Das hilft, die Modelle zur Wettervorhersage zu verbessern“
Denise Müller-Dum
Hagel in Golfballgröße – solche Extremwetterereignisse sind in Mitteleuropa eher selten. Dennoch kommt es immer wieder zu Schäden durch Hageleinschlag, und manchmal ist Hagel der Vorläufer von Starkregen, der für Überflutungen sorgen kann. Um solche Ereignisse besser vorherzusagen, versuchen Meteorologen, ihre Modelle immer weiter zu verbessern. Unter anderem untersuchen sie dafür, wie genau Hagel entsteht und was bei seinem Weg durch die Atmosphäre passiert. Wie solche Hagelexperimente im Labor funktionieren, berichtet Miklós Szakáll von der Universität Mainz im Interview mit Welt der Physik.
Welt der Physik: Wie entstehen Graupel und Hagel?
Miklós Szakáll: Graupel und Hagel entstehen entweder, wenn die Lufttemperatur niedrig genug ist und Regentropfen gefrieren. Diese Eispartikel können anwachsen, wenn sie mit Wassertröpfchen kollidieren. Befinden sich die Eiskügelchen in einer Gewitterwolke, in der hoher Aufwind und hohe Luftfeuchtigkeit herrschen und wo viele unterkühlte Wassertröpfchen vorhanden sind, dann können sie sehr schnell anwachsen. Denn der Aufwind hält die Eiskörner lange genug in der Wolke, sodass immer mehr Wassertröpfchen an ihrer Oberfläche gefrieren können oder sich Wasserdampf an der Oberfläche der Eiskügelchen anlagern kann. Wenn sie eine gewisse Größe erreicht haben, kann der Aufwind sie nicht mehr tragen und die Eiskörner fallen als Hagel oder Graupel aus der Gewitterwolke heraus. Man spricht ab einem Durchmesser von fünf Millimetern von Hagel, darunter von Graupel.
Welche Folgen kann vor allem Hagel haben?
Autos oder Häuser können beschädigt werden, aber auch Tiere und Menschen können getroffen und verletzt werden. Die Landwirtschaft ist auch sehr von Hagelschäden betroffen, vor allem bei Obst und Getreide. Und wenn die Hagelkörner auf dem Weg zum Erdboden komplett schmelzen, gibt es Starkregen. Das ist zum Beispiel im Sommer 2021 bei der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen passiert.
Wovon hängt es ab, ob die Hagelkörner als Starkregen auf die Erde treffen?
Das hängt davon ab, ob der Hagel schmilzt oder nicht. Denn wenn Temperaturen von 20 oder 30 Grad Celsius am Boden herrschen, ist erst ab einer bestimmten Höhe die Temperatur nicht mehr über null Grad Celsius. Entscheidend ist also: Wo genau liegt diese Null-Grad-Grenze? Dann ist es eine Frage der Luftfeuchte und der Geschwindigkeit, mit der der Hagel fällt. Denn wenn er lang genug fallen kann, taut er komplett auf und wird zu Regen.
Wie haben Sie das Fallen von Hagelkörnern untersucht?
Wir hatten eine Kooperation mit Forschern aus den USA. In den USA ist es ein bisschen einfacher Daten zu sammeln – es hagelt einfach häufiger. Die Kollegen sind den Stürmen gefolgt, haben verschiedene Hagelkörner gesammelt und direkt die Masse und mit einem 3D-Scanner auch ihre Form bestimmt. Dadurch existiert jetzt eine sehr große Datenbank von verschiedenen Hagelkörnern. Wir haben mit einem 3D-Drucker dann Modelle dieser unregelmäßig geformten Hagelkörner mit unterschiedlichen Dichten ausgedruckt. Denn mit künstlichen Hagelkörnern kann man Experimente beliebig oft wiederholen, ohne dass die Hagelkörner schmelzen oder ihre Form verändern. So konnten wir untersuchen, wie sich diese Hagelkörner in unserem vertikalen Windkanal verhalten.
Was ist ein vertikaler Windkanal?
In dem Windkanal können wir messen, wie schnell Hagelkörner fallen, wie sie sich verhalten und ob sie rotieren oder eher ruhig in der Luftströmung liegen. Wenn ein Hagelkorn aus einer Wolke fällt, wird es von der Gravitationskraft beschleunigt und gleichzeitig vom Luftwiderstand gebremst. Sind der Luftwiderstand und die Gravitationskraft gleich groß, fällt das Hagelkorn mit einer konstanten Geschwindigkeit – dann ist die Beschleunigung null. In diesem Fall ist es egal, ob man ein fallendes Hagelkorn in ruhender Luft betrachtet oder ein ruhendes Hagelkorn, an dem die Luft von unten nach oben vorbeiströmt. Das ist physikalisch dasselbe. Diesen Zustand stellen wir in unserem Windkanal her. Wir stellen die Geschwindigkeit des vertikalen Windes im Experiment so ein, dass der Hagel gerade eben schwebt. Dann weiß man genau, wie hoch die Fallgeschwindigkeit von diesem Hagelkorn in der Atmosphäre wäre. So können wir den Hagel im Labor untersuchen.
Und was haben Sie genau untersucht?
Mit dem künstlichen Hagel haben wir vor allem die Geschwindigkeit und den Querschnitt zur Luftströmung, sozusagen die Angriffsfläche, für verschiedene Massen gemessen. Es war wichtig zu schauen: Wie orientiert sich das einzelne Hagelkorn? Und welche Annahmen über den Querschnitt kann man machen? Kann man zur theoretischen Berechnung der Fallgeschwindigkeit die größte Dimension des Korns nehmen oder nur den mittleren Durchmesser? Denn je kleiner der Querschnitt zur Luftströmung, desto niedriger ist auch der Luftwiderstand und dann würde das Hagelkorn schneller fallen.
Welche Erkenntnisse haben Sie aus diesen Experimenten gewonnen?
Letztlich haben wir die sogenannte Reynoldszahl der verschiedenen Hagelkörner ermittelt. Die Reynoldszahl ergibt sich aus der Größe eines Objekts, der Geschwindigkeit der Luftströmung und ihrer Viskosität. Mit dieser Zahl arbeiten wir oft in der Wolkenphysik, weil sie Auskunft darüber gibt, wie sich ein Objekt durch eine Luftströmung bewegt – also zum Beispiel ein Hagelkorn oder auch ein Regentropfen. Dadurch, dass wir systematisch unterschiedliche Typen von künstlichen Hagelkörnern untersucht haben, konnten wir erstmals eine Gleichung ableiten, mit der man die Reynoldszahl für beliebig große Hagelkörner berechnen kann – im Grunde also deren Fallgeschwindigkeit vorhersagen kann. Damit lassen sich dann hoffentlich die Modelle zur Wettervorhersage verbessern.
Machen Sie auch Versuche mit echten Hagelkörnern?
Ja, denn wir können die Luft im Windkanal auf bis zu minus 30 Grad Celsius kühlen. So lässt sich zum Beispiel tatsächlich das Gefrieren von Eiskristallen zu Hagelkörnern beobachten. Wir können diese kalte Luft aber auch langsam erwärmen und damit das Fallen eines Hagelkorns aus einer Wolke simulieren. Mithilfe solcher Experimente überprüfen wir dann, wie gut unsere theoretischen Modelle sind. Denn wenn wir den Prozess des Schmelzens verstehen und korrekt beschreiben können, hilft auch das für bessere Vorhersagen.
Welche Bedeutung haben Ihre Experimente für die Zukunft?
Man erwartet durch den Klimawandel immer mehr Extremwetterereignisse, also mehr Regen oder mehr Hagel, da die Aufwinde stärker werden und auch mehr Wasserdampf in der Luft sein wird. Die Hagelkörner können dadurch theoretisch immer größer werden. Gleichzeitig steigt aber aufgrund der globalen Erwärmung auch die Null-Grad-Grenze, wodurch die Hagelkörner mehr Zeit haben, um zu schmelzen. Für uns stellt sich daher die Frage, ob dann die riesigen Hagelkörner als Starkregen oder als Hagel auf die Erde treffen und wie genau all diese Prozesse ablaufen. Das ist eben noch nicht genau bekannt.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/atmosphaere/wetter/meteorologie-das-hilft-die-modelle-zur-wettervorhersage-zu-verbessern/