„Wintersmog in Großstädten“

Kim Hermann

Vernebelte Luft über einer Großstadt

travelview/iStock

Feinstaub besteht aus winzigen Partikeln, die in der Luft schweben und von dort aus in unsere Atemwege gelangen können. Während ein Teil des Feinstaubs etwa als Rußpartikel direkt in die Luft gelangt, bildet sich Feinstaub teilweise auch erst durch Kondensation von Gasen in der Atmosphäre. Diesen sogenannten sekundären Feinstaub untersuchen Forscher im CLOUD-Experiment am Forschungszentrum CERN. Wie sich in dieser Wolkenkammer die Entstehung von Feinstaubpartikeln beobachten lässt und welche neuen Erkenntnisse sich daraus ergeben, berichtet der Atmosphärenphysiker Joachim Curtius von der Universität Frankfurt im Interview mit Welt der Physik.

Welt der Physik: Was genau ist Feinstaub?

Porträt des Wissenschaftlers Joachim Curtius

Joachim Curtius

Joachim Curtius: Als Feinstaub bezeichnen wir Partikel, die so klein und leicht sind, dass sie in der Luft schweben und entweder gar nicht oder nur sehr langsam zu Boden sinken. Die Reibungskräfte zwischen den Partikeln und der Luft sind so stark wie die Schwerkraft, die die Partikel zu Boden zieht. Dadurch kann Feinstaub über mehrere Stunden bis einige Tage in der Luft schweben. Das Gefährliche an diesen Partikeln ist, dass sie mit einem Durchmesser von weniger als einem Mikrometer fast ungehindert in die menschlichen Atemwege und in die Lunge gelangen und so Krankheiten auslösen können. Je kleiner der Feinstaub ist, desto tiefer dringt er in unsere Atemwege ein.

Wie gelangt Feinstaub überhaupt in die Luft?

Hier muss man zwischen zwei unterschiedlichen Arten von Feinstaub unterscheiden. Primärer Feinstaub gelangt bereits in Form von festen oder flüssigen Partikeln in die Atmosphäre. So werden beispielsweise Rußpartikel in Verbrennungsprozessen von Heizungen oder Kraftfahrzeugen als primärer Feinstaub in die Luft ausgestoßen. Auch Bodenstaub oder Mineralstaub aus Wüsten kann aufgewirbelt und so zu primärem Feinstaub werden. Sekundärer Feinstaub hingegen entsteht erst in der Luft – indem Gase in der Atmosphäre kondensieren. Dabei lagern sich die Bestandteile der Gase an anderen, winzigen Teilchen in der Luft – sogenannten Kondensationskeimen – an. Die Gase, die den sekundären Feinstaub bilden, sind je nach den örtlichen Gegebenheiten unterschiedlich und bestehen beispielsweise aus schwerflüchtigen organischen Komponenten, Schwefelsäure, Salpetersäure oder Ammoniak.

Für welchen Aspekt des Feinstaubs interessieren Sie sich?

Besonders im Winter ist die Belastung durch sekundären Feinstaub in Großstädten wie etwa Peking enorm hoch. Doch bislang konnten sich Forscher diese Beobachtung nicht erklären. Sie gingen nämlich davon aus, dass die sehr kleinen Partikel – sobald sie sich aus der Gasphase neu bilden – mit zahlreichen größeren Partikeln in der Luft zusammenstoßen und sich an diesen festsetzen. Demnach würden nur aus einem Bruchteil der kondensierten Gase neue Feinstaubpartikel entstehen. Mit unserem Experiment wollten wir dem Widerspruch zwischen den theoretischen Überlegungen und der beobachteten enormen Feinstaubbelastung im winterlichen Smog auf den Grund gehen.

Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Im CLOUD-Experiment am Forschungszentrum CERN können wir die Erdatmosphäre unter kontrollierbaren Bedingungen nachstellen und so bestimmte Prozesse gezielt erforschen. Dafür befüllten wir einen 27 Kubikmeter großen Edelstahltank mit reiner Luft und Gasen wie etwa Ammoniak und Salpetersäure, die in Großstädten vorwiegend aus Autoabgasen entstehen. Nun ließen sich verschiedene Parameter wie etwa die Gaskonzentration, die Luftfeuchtigkeit oder die Temperatur verändern und beobachten, was in der Wolkenkammer passiert.

Und was haben Sie beobachtet?

Blick in eine Halle mit verschiedenen Maschinen; in der Mitte steht ein silberner Kegel, um den mehrere Geräte gruppiert sind, an denen Menschen arbeiten

Das CLOUD-Experiment am CERN

Wir haben gesehen, dass gasförmiges Ammoniak und Salpetersäure in der Wolkenkammer gleichzeitig kondensieren und als feste Verbindung – sogenanntes Ammoniumnitrat – sekundäre Feinstoffpartikel bilden. Obwohl wir bereits wussten, dass Ammoniumnitrat ein Bestandteil von Feinstaub sein kann, waren wir von dem Ergebnis überrascht. Denn die winzigen Partikel aus Ammoniumnitrat wuchsen enorm schnell an: Typischerweise vergrößern sich sehr kleine Partikel in der Atmosphäre nur um wenige Nanometer pro Stunde. Doch Ammoniumnitrat nahm pro Stunde bis zu hundert Nanometer an Durchmesser zu und bildet dabei eigene Feinstaubpartikel anstatt sich mit anderen, größeren Partikeln in der Luft zu vereinen. Diese enorme Wachstumsrate hat bisher noch niemand beobachtet – Ammoniumnitrat spielt also eine wichtige Rolle im sekundären Feinstaub.

Warum wachsen die Partikel aus Ammoniumnitrat so schnell an?

Die hohen Schadstoffemissionen sowie der langsame Luftaustausch in Großstädten führen lokal zu sehr hohen Konzentrationen von Ammoniak und Salpetersäure. Je mehr Moleküle dieser beiden Stoffe sich in der Luft befinden, desto häufiger können sich daraus winzige Nanopartikel bilden, die zum sekundären Feinstaub beitragen. Der Kondensationsprozess beginnt jedoch erst, wenn die Temperatur niedrig genug ist: Während bei etwa zwanzig Grad Celsius das Ammoniak und die Salpetersäure in der Atmosphäre in gasförmigem Zustand vorliegen, beginnen die Gase ab einer Temperatur von etwa fünf Grad Celsius zu kondensieren. Fällt die Temperatur bis auf etwa minus zehn Grad Celsius, liegen beide Stoffe vollkommen kondensiert vor. Da die Temperaturen im Winter im bodennahen Bereich der Atmosphäre genau in diesen kritischen Bereich fallen, kommt es dort zur Partikelneubildung und zu dem hohen Anteil an Ammoniumnitrat in den Feinstaubpartikeln.

Was bedeuten diese Ergebnisse?

Vor einigen Jahrzehnten war die bedeutendste Komponente im sekundären Feinstaub noch Schwefelsäure. Daraufhin wurde Schwefel etwa aus Treibstoffen und Kraftwerkabgasen entfernt, sodass der Ausstoß von Schwefelkomponenten in Europa seit den 1980er-Jahren um etwa 95 Prozent abgenommen hat. Unser Experiment zeigt, dass mittlerweile andere Gase wie Salpetersäure und Ammoniak einen wichtigen Einfluss auf die Bildung von Feinstaub haben, der weiter erforscht werden muss. Und nicht nur für den bodennahen Smog, auch in der freien Troposphäre spielt Ammoniak eine Rolle.

Wie gelangt Ammoniak in die Troposphäre?

Nicht nur in Großstädten, auch in der Landwirtschaft werden große Mengen an Ammoniak ausgestoßen. Das Gas kann dann über aufsteigende Luftmassen in die obere Troposphäre auf eine Höhe von etwa zehn Kilometern gelangen. Die niedrigen Temperaturen sorgen dafür, dass das Ammoniak auch dort kondensiert und kleine Partikel bildet, an denen wiederum Wasserdampf kondensiert. Auf diese Art und Weise könnte Ammoniak weitreichende Auswirkungen auf die Bildung von Wolken haben. Um die Vorgänge jedoch noch genauer zu verstehen, wollen wir die Bildung von Ammoniumnitrat bei noch tieferen Temperaturen untersuchen. Außerdem planen wir, uns das Zusammenspiel von Schwefelsäure, Salpetersäure und Ammoniak noch genauer anzuschauen.

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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/atmosphaere/wintersmog-in-grossstaedten/