Verwitterung und Erosion
Ständig wird Gestein zersetzt, zerkleinert und abgetragen. Dabei spielen sowohl physikalische als auch chemische Prozesse eine entscheidende Rolle.
Berge sind längst nicht so hart und beständig, wie sie aus der Ferne aussehen mögen. Permanent wird ihr Gestein zersetzt, zerkleinert und abgetragen; es bröckelt und bröselt. Diese Vorgänge sind für das Aussehen des Planeten elementar. Ohne sie würden Gebirge – durch tektonische Verschiebungen angetrieben – immer weiter in die Höhe wachsen. Es könnten auch niemals fruchtbare Böden, Schwemmebenen oder Flussdeltas entstehen, weil ihnen das Material fehlen würde. Wissenschaftler nennen die Zersetzung von Gestein in kleinere Bestandteile „Verwitterung“ und den anschließenden Transport „Erosion“. Physikalische Mechanismen spielen dabei eine wichtige Rolle.
Oft kommt Verwitterung zum Beispiel durch Kälte zustande. Im Gebirge dringt Regen- und Schmelzwasser in Spalten ein. Gefriert das Wasser, dehnt sich sein Volumen aus, und das Gestein wird gesprengt. Der eigentliche Grund dafür ist die starke Ausdehnung des Wassers beim Gefrieren: Dabei nimmt das spezifische Volumen, also das Verhältnis von Volumen zu Masse, um ein Zehntel zu.
In höheren Gebirgslagen können auch Gletscher Verwitterung herbeiführen: Schrammen die Eisströme über ihr Gesteinsbett, reißen sie kleine und große Brocken heraus. Besonders wirksam ist diese Form der Verwitterung, wenn der Gletscher am Boden festfriert. In den Alpen gleiten die Gletscher meist über eine dünne Schicht flüssigen Wassers an ihrer Unterseite, was die Verwitterung mindert.
Temperaturschwankungen tragen nicht nur in feuchten Gegenden zur Verwitterung bei, sondern auch in trockenen. Das passiert dann, wenn die Temperatur über den Tag derart schwankt, dass die Festigkeit des Gesteins den Spannungen, die von thermischer Ausdehnung und Kontraktion ausgelöst werden, nicht mehr standhält. Diese Art der Verwitterung ist für Wüsten typisch. Zusätzlich schleift dort auch der im Wind enthaltene Sand an den Felsen, was bizarre Formen hervorruft. Generell ist die Verwitterung in Trockengebieten ziemlich schwach ausgeprägt. Das erklärt den ausgezeichneten Erhaltungszustand antiker Ruinen beispielsweise in Libyen oder Jordanien.
Weniger bekannte Verwitterungsprozesse
Darüber hinaus gibt es eine Reihe weniger bekannter Verwitterungsprozesse. Einer davon wird durch Kristalle hervorgerufen: In Gesteinsspalten können sich aus wässrigen Lösungen heraus neue Kristalle bilden, zum Beispiel Salzkristalle an der Meeresküste. Die Kristalle wachsen allmählich und können dabei – ähnlich wie gefrierendes Wasser – das Gestein aufsprengen. Die entstehenden Hohlräume bilden ein charakteristisches Wabenmuster. Interessanterweise kann Gestein sogar ohne äußere Einwirkung verwittern. Das passiert, wenn Gesteine, die sich unter dem Gewicht aufliegender Schichten gebildet haben, allmählich von dem Druck befreit werden. Die Entlastung bringt Spannungen in das Gestein, was zu einer selbständigen Aufspaltung führt.
Auch Gewitterblitze tragen zur Verwitterung bei, auf indirekte Weise. Denn die Lufttemperatur im Blitzkanal kann bis zu 30 000 Grad Celsius erreichen. Schlägt der Blitz nahe einer Gesteinsspalte ein, in der sich Wasser befindet, verdampft dieses schlagartig und dehnt sich dabei explosionsartig aus. Durch die schnelle Volumenexpansion platzt das Gestein auf. Neueren Studien zufolge könnte die Blitzaktivität eine viel größere Rolle für die Verwitterung spielen als früher angenommen, vor allem in frostfreien Gegenden. Den physikalischen Prozessen kommen bei der Verwitterung häufig chemische Prozesse zuvor: Instabile Mineralien werden an der Gesteinsoberfläche chemisch angegriffen und umgewandelt, meist unter Beteiligung von Wasser. Eisenhaltige Gesteine können beispielsweise rosten, sodass sie sich rot färben.
Bei weiteren chemischen Verwitterungsprozessen kommt es zu einem allmählichen Austausch von Ionen zwischen einer wässrigen Lösung auf der Oberfläche und Substanzen im Gestein. Säuren lösen karbonathaltige Gesteine auf, wobei Kohlendioxid frei wird. Einige Pflanzen und Tiere produzieren Säuren, die zu dieser Art der Verwitterung beitragen. Überhaupt ist der Beitrag der Biosphäre zur Verwitterung ein Gebiet, in dem in letzter Zeit zunehmend geforscht wird.
Letztendlich ändert die chemische Verwitterung die physikalischen Eigenschaften des Gesteins an der Oberfläche: Es entstehen feine Poren oder Risse. Anschließend können die physikalischen Verwitterungsprozesse leichter angreifen – es ist damit wahrscheinlicher, dass Teile des Gesteins abgespalten werden. Umgekehrt begünstigt die physikalische Verwitterung durch Vergrößerung der Gesteinsoberfläche auch die chemischen Prozesse. Es handelt sich also um eine sich gegenseitig verstärkende Wechselwirkung. Generell dominiert in kalten und trockenen Gebieten die physikalische Verwitterung, während die chemische Verwitterung in feuchten und warmen Gebieten vorherrscht.
Der Abtransport
Ist das Gestein durch die Verwitterung erst einmal in Einzelteile zerlegt worden, folgt der Abtransport: die Erosion. An den Küsten von Meeren und Seen ziehen die Wellen der Brandung das Material langsam in die Tiefe. Bäche und Flüsse verfrachten ständig große Mengen an Sediment von den Gebirgen talabwärts. Auf diese Weise sorgen sie für den Aufbau von Schwemmebenen und Flussdeltas.
Gletscher sind nicht nur bei der Verwitterung relevant, sondern auch bei der Erosion. Nachdem sie Gestein abgeschürft haben, transportieren sie es – teils über viele Hundert Kilometer. Eindrucksvolle Belege dafür sind die Findlinge in Norddeutschland, die aus Skandinavien stammen: Diese Felsbrocken wurden während den letzten Eiszeiten gen Süden verschoben.
Nachdem das Gesteinsmaterial zu Sandkörnern zerkleinert wurde, ist auch der Wind an der Erosion beteiligt. Die Dünen der Wüsten und Strände belegen das ebenso wie in der Sahara aufgewirbelte Staubwolken, die ab und zu sogar den Himmel über Deutschland in ein orangenes Licht tauchen. Der tropische Regenwald in Südamerika erhält einen Teil seiner mineralischen Nährstoffe aus dem Staub der Sahara, der über den Atlantik hinübergeweht wird. Als Quelle von Aerosolen sind die Wüsten der Erde zudem ein wichtiger Klimafaktor. Denn die feinen Schwebeteilchen in der Luft schatten die Sonne ab.
Nicht nur auf geologischen Zeitskalen sind Verwitterung und Erosion von Interesse. Das zeigt das Beispiel des Sedimenttransports besonders deutlich: Durch den Bau von Flussdeichen und Staudämmen hat der Mensch innerhalb kurzer Zeit stark in die Erosion eingegriffen. Das hat den Sedimenthaushalt erheblich verändert. In etlichen Deltas der Erde ist inzwischen wegen Materialmangels der Boden abgesunken, mancherorts um mehrere Meter. Andererseits füllen sich Stauseen mit Sediment, was ebenfalls Probleme mit sich bringt. Denn dann sinkt das Volumen der Wasserspeicher. Um das Wassermanagement in den Flüssen und damit die Sedimentbilanz zu verbessern, bedarf es umfangreicher Daten zu Verwitterung und Erosion.
Wissenschaftler untersuchen die beiden Vorgänge auf verschiedene Weise: im Labor, durch Feldstudien sowie mithilfe von Methoden der Fernerkundung. Gerade Satelliten sind eine große Hilfe. Außerdem konstruiert man chemisch-physikalische Modelle und berechnet die einzelnen Prozesse mit Computermodellen. Auf diese Weise versuchen die Forscher Schritt für Schritt zu verstehen, wie Verwitterung und Erosion funktionieren – und wie sie sich im Lauf der Erdgeschichte verändert haben.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/erde/verwitterung-und-erosion/