„Ein bestimmtes Zeitintervall der Erdgeschichte erbohren“

Katharina Luckner

Drei Frauen auf der Gangway zu einem Schiff

SIEM offshore/IODP

Anfang des Jahres brach ein internationales Team mit dem Bohrforschungsschiff JOIDES RESOLUTION von Fidschi in den Südpazifik auf. Ziel der Expedition ist es, genauer zu untersuchen, warum die Temperatur auf der Erde vor 56 Millionen Jahren sprunghaft anstieg. Die Forscher an Bord werden bis zu 670 Meter tief in den Ozeanboden bohren, um Proben zu entnehmen. Wie sich mithilfe dieser Proben auf Veränderungen des Klimas rückschließen lässt, erklärt Ursula Röhl vom MARUM – dem Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen – im Interview mit Welt der Physik.

Welt der Physik: Welche Ziele verfolgt Ihre Expedition?

Ursula Röhl: Wir wollen ein bestimmtes Zeitintervall der Erdgeschichte erbohren – einen Teil der sogenannten Erdneuzeit. Dieses Erdzeitalter begann vor 66 Millionen Jahren mit dem Meteoriteneinschlag, bei dem unter anderem die Dinosaurier ausgestorben sind. Bei diesem Meteoriteneinschlag sind viele Arten ausgelöscht worden und es haben sich danach neue Arten entwickelt, aber auch das Klima hat sich während der folgenden Jahrmillionen drastisch verändert. Zunächst war es gemäßigt, es wurde dann aber über einen längeren Zeitraum immer wärmer, bevor es über Jahrmillionen kontinuierlich abkühlte und sich schließlich Eiskappen an den Polen bildeten. In den Warmzeiten der Erdneuzeit war der CO2-Gehalt der Atmosphäre sehr hoch. Indem wir jetzt diese Klimaentwicklung bis vor etwa 34 Millionen Jahren genauer untersuchen, können wir viel über Prozesse, die auch den aktuellen Klimawandel betreffen, lernen und auf mögliche Konsequenzen schließen.

Woher weiß man überhaupt, wie sich das Klima während der verschiedenen Erdzeitalter entwickelt hat?

Es ist natürlich nicht einfach, den Wandel des Klimas auf der Erde über Jahrmillionen hinweg zu rekonstruieren. Wir müssen zunächst nach Spuren suchen, die das Klima in den verschiedenen Erdzeitaltern hinterlassen hat – beispielsweise in Sedimentschichten. Die Sedimentschichten können wir untersuchen, indem wir tief in die Erde bohren. Allerdings gibt es nicht viele zugängliche Orte auf der Erde, an denen sich während einer bestimmten Periode die Sedimentschichten weitestgehend ungestört übereinander abgelagert haben. Denn erst das ermöglicht eine vollständige Rekonstruktion eines bestimmen Zeitalters.

Wo gibt es solche Sedimentschichten?

Die Orte befinden sich oftmals auf den heutigen Gebieten der Weltmeere. Unsere Expedition führt uns nun an eine Bohrstelle, an der die Sedimentschichten der Erdneuzeit weitgehend vollständig erhalten sind. Das wissen wir, da Forscher vor 47 Jahren an der gleichen Stelle schon einmal gebohrt haben – es gibt also gute Voruntersuchungen. Allerdings hat man damals lediglich eine einzige Bohrung gemacht und dabei nur stichprobenartig Material entnommen. Mit der nun fortgeschrittenen Technik können wir parallele Bohrungen machen, tiefer bohren und vollständige Ozeanbodenkerne entnehmen.

Wie funktioniert eine solche Bohrung?

Mehrere Arbeiter mit Schutzhelm stehen an dem stangenförmigen Bohrkern und bearbeiten ihn mit kleinen Werkzeugen

Bohrkern

Wir haben die Erlaubnis, bis zu einer Tiefe von 670 Metern in den Ozeanboden zu bohren. Um wirklich alle Sedimentschichten in der korrekten Reihenfolge zu erhalten, planen wir drei versetzte Parallelbohrungen. Denn bei einer 670 Meter tiefen Bohrung entnehmen wir einzelne Abschnitte von jeweils knapp zehn Metern. Die Teilbohrkerne werden während des Bohrvorgangs in Plastikrohren aufgenommen und an Bord gebracht. Anschließend wird das Bohrloch um die nächsten zehn Meter vertieft. Zwischen solchen Teilbohrungen müssen wir aber immer mit Verlusten rechnen – schließlich bohren wir in einer Meerestiefe von 1225 Metern.

Wie lässt sich mithilfe der Probe auf das Klima des damaligen Erdzeitalters schließen?

Bei den Bohrungen entnehmen wir zylinderförmige Proben – sogenannte Ozeanbodenkerne. Die Proben sind Ausschnitte der Sedimentschichten, die sich über Jahrmillionen abgelagert haben. Wir wissen, inwiefern das Klima beeinflusst, welche Art von Sediment sich in welcher Zusammensetzung ablagert. Indem wir also die genaue Zusammensetzung analysieren, können wir Rückschlüsse auf das Klima ziehen. Um die zeitliche Abfolge der Klimaveränderungen zu dokumentieren, müssen wir das genaue Alter der jeweiligen Sedimentschicht bestimmen. Dazu schauen sich Paläontologen beispielsweise Schalen von Mikrofossilien an, die einen Großteil der Ablagerungen, die in den Schichten zu finden sind, ausmachen. Es müssen also viele verschiedene Experten gut zusammenarbeiten, um diese komplexe Analyse durchzuführen.

Analysieren Sie die Ozeanbodenkerne bereits an Bord der JOIDES RESOLUTION?

Es finden bereits erste Analysen der Ozeanbodenkerne an Bord statt. Teilweise geht es dabei um Sicherheitsaspekte, denn wir testen beispielsweise, ob die Bohrkerne Erdgas enthalten. Vor allem müssen wir aber das Material sichern. Proben, an denen organisches Material im Detail untersucht werden soll, müssen etwa sofort eingefroren werden, damit sie sich nicht zersetzen. Auch die Arbeit der Paläontologen, die das Alter der einzelnen Schichten bestimmen, passiert größtenteils direkt an Bord. Bevor all dies geschieht, schneiden wir den Kern allerdings in zwei Hälften: Die eine Hälfte wird in ihrem Ursprungszustand archiviert und aus der anderen Hälfte entnehmen wir die Proben. In kleineren Abschnitten mit einer Länge von etwa 1,5 Metern werden diese Ozeanbodenkerne zunächst an Bord eingelagert, später dann im Kernlager in Texas. Dort kommen wir dann auch alle nach der Expedition zusammen, um ungefähr 15 000 Proben für unsere weiteren Forschungsschritte in den Heimatlaboren zu entnehmen. Wenn wir von Bord gehen, ist das eigentlich erst der Beginn der mehrjährigen Forschungsarbeit.

Was nehmen Sie von den Expeditionen mit, abgesehen von den Proben und den wissenschaftlichen Erkenntnissen?

Wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Situation, die nicht jeder Mensch erlebt. Zum einen ist es eine sehr abenteuerliche Reise, die uns an tolle Orte bringt. Zum andern entwickelt sich in der Abgeschiedenheit an Bord aber auch eine ganz eigene soziale Dynamik, die zusammenschweißt und eine tolle Gemeinschaft entstehen lässt. Wir freuen uns dann sehr auf das Wiedersehen in Texas und bei einer Konferenz zum Austausch der Ergebnisse in etwa zwei Jahren.

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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/erdinneres/ein-bestimmtes-zeitintervall-der-erdgeschichte-erbohren/