„Klimadaten aus Tropfsteinen“
Katharina Luckner
Das Klima der Erde wechselt seit jeher auf sehr großen Zeitskalen zwischen Kalt- und Warmzeiten. Diese Zyklen untersuchen Forscher etwa mithilfe von Sedimenten aus der Tiefsee. Dabei haben sie herausgefunden, dass sich während des sogenannten Mittelpleistozäns – vor etwa 800 000 Jahren – die Zyklusdauer veränderte. Im Interview mit Welt der Physik erklärt Christoph Spötl von der Universität Innsbruck, wie er und seine Kollegen diesen Zeitraum nun mithilfe von Tropfsteinen analysierten.
Welt der Physik: Was bestimmt das Erdklima?
Christoph Spötl: Der langfristige Gang des Klimas der Erde wird durch die eintreffende Sonnenstrahlung bestimmt und hängt also davon ab, wie die Erde zur Sonne steht: Welche Bahn beschreibt die Erde um die Sonne, wie ist die Erdachse geneigt und wie stark schwingt die Rotationsachse der Erde? Diese drei Faktoren bezeichnet man auch als Exzentrizität, Obliquität und Präzession. Sie bestimmen, mit welcher Intensität und besonders welchem Einfallswinkel das Sonnenlicht an unterschiedlichen Orten auf der Erde ankommt und damit auch, welches Klima auf der Erde herrscht. Da sich diese drei Faktoren stetig verändern, gibt es kein konstantes Klima auf der Erde.
Wie verändern sich die drei Größen?
Die Erde befindet sich ja nicht alleine im Sonnensystem, sondern ist dem ständigen Einfluss der anderen Planeten ausgesetzt. Die Gravitationskräfte zwischen den Planeten bestimmen, wie sich diese drei Faktoren und damit die Stellung der Erde zur Sonne verändern. Wie genau sich die drei Faktoren ändern, hat am Anfang des 20. Jahrhunderts der serbische Mathematiker Milutin Milanković herausgefunden. Die sogenannte Milanković-Theorie spielt seitdem eine zentrale Rolle in der Erd- und Klimaforschung.
Was hat Milanković herausgefunden?
Durch präzise astronomische Berechnungen hat Milanković gezeigt, dass sich Exzentrizität, Obliquität und Präzession der Erde zyklisch ändern und dadurch einen Wechsel zwischen Warm- und Kaltzeit hervorrufen. Natürlich hängt das Klima auf der Erde nicht nur von der Sonneneinstrahlung ab. Schließlich ist die Erde von der Atmosphäre umgeben, es gibt Vegetation und große Eisflächen, wodurch die Energiebilanz der Erde beeinflusst wird. Aber Milanković hat gezeigt, dass die dem Wechsel zwischen Warm- und Kaltzeiten – den Klimazyklen – zugrundeliegenden Faktoren die Exzentrizität, Obliquität und Präzession sind.
Wie knüpft Ihre Forschung an die Milanković-Theorie an?
Nach Milanković bestimmt die Neigung der Erdachse das Erdklima am stärksten. Mit der Theorie lassen sich die Klimazyklen mit einer Dauer von knapp 41 000 Jahren in dem Zeitraum vor etwa 1,2 Millionen bis vor etwa 800 000 Jahren gut beschreiben. Dann änderte sich allerdings die Zyklusdauer und seither wechseln Kalt- und Warmzeiten etwa alle 100 000 Jahre. Diese Änderung stellte Forscher vor ein Rätsel. Manche vermuteten, dass möglicherweise die Erdumlaufbahn doch einen größeren Einfluss auf das Erdklima haben könnte als von Milanković vorhergesagt. Wir wollten deswegen untersuchen, ob sich auch der 100 000-Jahre-Zyklus mit der Milanković-Theorie erklären lässt.
Wie lässt sich die Milanković-Theorie überprüfen?
Im Allgemeinen arbeitet die Paläoklimaforschung mit Sedimentablagerungen aus der Tiefsee oder mit Eiskernen, um das vergangene Klima zu untersuchen. In beiden Fällen lässt sich anhand der Zusammensetzung von einzelnen Schichten auf das damalige Erdklima rückschließen. Das Alter von solchen Sedimentschichten – sowohl auf dem Meeresgrund als auch im Eis – genau zu bestimmen, ist sehr schwierig. Deswegen wird die Milanković-Theorie zur Datierung herangezogen. Man gleicht die Klimaverhältnisse, welche sich aus den Sedimentschichten ergeben, mit dem Klima ab, das laut Milanković auf der Erde vorherrschte, und weiß so von wann die Sedimentschicht stammt. Wenn man aber die Proben mithilfe der Milanković-Theorie datiert, kann man solche Daten nicht nutzen, um die Theorie selbst zu überprüfen.
Haben Sie eine Lösung für dieses Problem gefunden?
Wir nutzen Tropfsteine, um empirische Daten des Erdklimas zu sammeln. Tropfsteine entstehen, wenn Wasser Gestein anlöst, das sich dann in Höhlen Schicht für Schicht aus diesem mineralisierten Wasser wieder ablagert. Das Wasser nimmt dabei geringste Mengen an Uran auf, das sich in den Schichten des Tropfsteins ablagert. Wir messen den radioaktiven Zerfall des Urans und bestimmen damit das Alter der Tropfsteinschichten. Die zeitlich präzise datierten Klimadaten aus den Tropfsteinen haben wir dann mit Daten aus neuen Tiefseebohrungen verglichen, um so diese Sedimente mit Zeitstempeln zu versehen. Der Sprung von der Höhle in die Tiefsee ist wichtig, denn im Ozean findet sich das weltweit vollständigste Klima-Archiv der Erde. Wir haben mit dieser kombinierten Methode also zeitlich sehr genaue Daten erhalten, die den spannenden Zeitraum des Mittelpleistozäns unabhängig von der Milanković-Theorie abbilden.
Und zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Unsere Messungen haben gezeigt, dass auch der 100 000er-Zyklus hauptsächlich von der Neigung der Erdachse abhängt. Der neue Klimazyklus wird also in gleicher Art und Weise wie der 41 000-Jahre-Zyklus von den drei Faktoren beeinflusst. Das ist zunächst einmal ein wichtiges Ergebnis, das die Milanković-Theorie weiter stärkt. Trotzdem gibt es noch offene Fragen. Denn bislang wissen wir noch nicht, warum sich die Zyklusdauer überhaupt geändert hat.
Gibt es mögliche Szenarien, die dieses Phänomen erklären?
Meiner Meinung nach liegt die wahrscheinlichste Erklärung dafür beim Eis: Beim Wechsel zwischen Kalt- und Warmzeiten ändert sich das Volumen des Eises auf der Erde dramatisch. Möglicherweise läuft dieser Vorgang des Aufbaus beziehungsweise Abschmelzens der großen Eisschilde und Gletscher nicht immer gleich ab, wodurch das Erdklima nachhaltig beeinflusst wird und beispielsweise eine beginnende Kaltzeit abgewendet wird. Um das zu klären, bedarf es aber noch viel Forschung. Zunächst einmal wäre es für unsere Arbeit wichtig, dass unsere Ergebnisse von unabhängigen Forschungsgruppen überprüft werden. Sedimente, die Schichten aus vulkanischen Aschen enthalten, sind eine mögliche Quelle für Klimadaten. Ähnlich wie Tropfsteine können diese Sedimente gut datiert werden, gemäß einem der Leitsprüche der Paläoklimaforschung: Chronology is everything.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/klimadaten-aus-tropfsteinen/