Deutsch-Indonesisches Tsunami-Frühwarnsystem geht in Betrieb
Jakarta (Indonesien)/Potsdam - Das neu implementierte Tsunami-Frühwarnsystem für den Indischen Ozean GITEWS nimmt heute seinen Betrieb auf und geht nun in seine Optimierungsphase. "Wir freuen uns, genau nach Zeitplan heute das Tsunami-Frühwarnsystem in Funktion zu setzen", erklärt Reinhard Hüttl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ. „Alle Partner haben dieses mit einer enormen Kraftanstrengung erreicht. Dafür möchte ich allen, die daran mitgearbeitet haben, von Herzen danken.“
Neue wissenschaftliche Verfahren und neuartige Technologien unterscheiden dieses System von den bisherigen Tsunami-Warnsystemen. Aufgrund der speziellen geologischen Situation in Indonesien ergab sich, dass die bisher benutzten Systeme, wie etwa das Pazifische Tsunami-Warnsystem, für Indonesien nicht optimal sind. Die Erdbeben im Indischen Ozean vor Indonesien entstehen entlang einer Subduktionszone, dem Sundagraben, der sich bogenförmig von der Nordwestspitze Sumatras bis Flores im Osten Indonesiens erstreckt. Entsteht hier ein Tsunami, laufen die Wellen im Extremfall innerhalb von 20 Minuten an der Küste auf, so dass nur sehr wenig Zeit für eine Frühwarnung bleibt. Diese Randbedingung lag daher der Konzeption des gesamten Systems zugrunde.
So werden in dem Frühwarn-System neue Verfahren der schnellen und sicheren Bestimmung von starken Erdbeben, der Tsunami-Modellierung und der Lagebeurteilung eingesetzt. Insbesondere die direkte Einbeziehung einer Vielzahl von unterschiedlichen Sensorsystemen zur sicheren Erfassung eines Tsunami stellt eine enorme Herausforderung dar.
Mehr als 90% aller Tsunamis entstehen durch starke Erdbeben. Die Katastrophe vom Dezember 2004 war mit einer Stärke von 9,3 das zweitstärkste je gemessene Beben. Eine Viertelstunde nach dem Beben erreichte der Tsunami die Provinz Banda Aceh und riss allein dort mehr als 140.000 Menschen in den Tod. Insgesamt starben ungefähr eine Viertelmillion Menschen.
Eine zügige und exakte Bestimmung der Erdbebenparameter (Ort, Bebenstärke, Herdtiefe) ist daher entscheidend für ein schnelles Tsunami-Frühwarnsystem. Ein dichtes Messnetz verkürzt einerseits die Laufzeit der Erdbeben-Welle zum Messgerät. Andererseits aber ist es äußerst schwierig, die Signale von starken Beben im Nahfeld aufzuzeichnen und auszuwerten. Für GITEWS wurden deshalb neuartige Mess- und Auswertungsverfahren entwickelt. So konnten bereits mehrere starke Erdbeben innerhalb von gut zwei Minuten erfasst und ihre Parameter bestimmt werden. Das gesamte seismologische Netz in Indonesien verfügt derzeitig über 120 Stationen.
Tsunamis breiten sich in tiefem Wasser mit der Geschwindigkeit von Düsenflugzeugen aus. Erst im flachen Wasser werden sie langsam, türmen sich allerdings an den Küsten zu Wellenhöhen von bis zu 30 Metern auf. Deshalb ist es wichtig, an geeigneten Standorten, z.B. auf vorgelagerten Inseln, einen Tsunami mit einem Küstenpegel bereits zu erfassen, bevor die Welle auf das Festland aufläuft. Im Indischen Ozean wurden durch das GITEWS-Projekt im Rahmen eines von der Intergovernmental Oceanographic Commission (IOC) der UNESCO koordinierten Netzwerkes bereits neun Pegelstationen aufgebaut. Damit stehen nicht nur an der Küste Indonesiens, sondern auch in den Anrainerstaaten des Indischen Ozeans verlässliche Pegeldaten zur Verfügung. Die Daten liegen in frei zugänglichen Datenbanken bereit.
Während des Katastrophenbebens von 2004 ließ sich ein horizontaler und vertikaler Bodenversatz von mehreren Dezimetern bis Metern noch in einer Entfernung von einigen hundert Kilometern vom Beben nachweisen. Die Richtung dieser beben-bedingten Verschiebung gibt Hinweise auf den Mechanismus des Erdbebenbruchs und damit auf das mögliche Tsunamipotential und die zu erwartende Gefährdung. Um den vertikalen und horizontalen Versatz umgehend bestimmen zu können, wurden alle Pegelstationen im GITEWS zusätzlich mit GPS-Antennen ausgerüstet - auch dieses eine völlig neue Komponente eines Tsunami-Warnsystems.
Nicht jedes Erdbeben erzeugt einen Tsunami. Daher muss auf dem Meer gemessen werden, ob ein Erdbeben die tödliche Welle auf den Weg geschickt hat. Üblicherweise werden dazu Unterwassermesseinheiten verwendet, die mithilfe eines Druckmessgerätes einen Tsunami erfassen. Läuft ein Tsunami über die Drucksonde hinweg, werden die Daten zu einer Boje an der Meeresoberfläche gesendet und von dort aus ans zentrale Warnzentrum weitergeleitet.
Liegen die Unterwassereinheiten zu nahe am Bebenherd, kann das Messgerät nicht zwischen der Beben- und einer Tsunamiwelle unterscheiden und löst möglicherweise einen Fehlalarm aus. Es lag also nahe, die Bojen nicht nur als Relaisstation, sondern als eigenständiges Messgerät zur Tsunami-Erfassung zu entwickeln. Im GITEWS findet dieses neuartige Verfahren nun auch Anwendung zur Erkennung von Tsunami-Wellen, die im freien Ozean bei Laufgeschwindigkeiten von 800 km/h und Wellenlängen von 200 Kilometern allerdings noch recht flach sind.
Da das Sensornetz Daten jeweils nur an einigen wenigen Punkten liefert, werden Simulationen benötigt, um ein ganzheitliches Lagebild zu synthetisieren. So können mit Hilfe von Computermodellen zur Ermittlung von Ankunftszeiten und Wellenhöhen sowie Informationen über die Besiedelungs- und Infrastruktur schnell Risikoabschätzungen getroffen werden, welche die Warnentscheidung unterstützen.
Aufgrund der extrem kurzen Vorwarnzeit werden die Computersimulationen mit Hilfe der neuartigen, auf unstrukturierten Dreiecksgittern basierenden Software TsunAWI vorausberechnet. Diese am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung entwickelte Modellierung stellt die Wellenausbreitung und die Überflutung an Land in bislang einmaliger Weise detailliert und präzise dar. Eine Vielzahl von Szenarien deckt die möglichen Tsunami-Ereignisse ab, so dass im Ernstfall immer ein vorberechnetes Szenario derart exakt mit den Messdaten übereinstimmt, dass es als Beschreibung der realen Lage dienen kann.
Alle verfügbaten Daten, Informationen und Modellierungen fließen letztlich in einem Entscheidungs-Unterstützungssystem (DSS= Decision Support System) zusammen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR hat dieses System entwickelt, mit dessen Hilfe entschieden wird, ob ein Tsunami-Alarm ausgelöst wird oder nicht.
Im DSS laufen alle Sensordaten zusammen, von hier aus werden alle Instrumente kontrolliert und gesteuert und hier erfolgt die Synthese aller Daten mit den vorberechneten Simulationen sowie die Erstellung der Warnmeldung. Der diensthabende Verantwortliche kann sich auf der Basis der vorliegenden Informationen sehr schnell einen Überblick über die Situation verschaffen und Entscheidungsvorschläge generieren. Das Lagebild wird zusammen mit den Handlungsempfehlungen auf mehreren Monitoren angezeigt.
Das DSS ist auf den Einsatz im Krisenfall zugeschnitten und so gestaltet, dass auch unter hohem Zeitdruck und Stress schnell und zuverlässig Entscheidungen getroffen werden können. Umfangreiche Datenbanken halten neben allgemeinen Geodaten insbesondere vorprozessierte Risikoinformationen und Gefährdungskarten bereit. Das hier aufgebaute System ist konzeptionell und von der Komplexität mit keinem anderen System weltweit vergleichbar.
GITEWS ist von Beginn als integrierendes System entwickelt worden, in das nicht nur die Daten der deutschen Sensorsysteme, sondern auch die Sensordaten aus Indonesien und den anderen Geberländer einlaufen. Daher basieren alle Schnittstellen zu den Sensor- und Disseminationssystemen auf internationalen Standards, um ein vernetztes und gleichzeitig offenes System zu gewährleisten.
Der Aufbau und Einsatz des komplexen GITEWS in einem tektonisch komplizierten Gebiet war und ist wissenschaftlich, technisch und organisatorisch eine große Herausforderung. In der nun folgenden zweijährigen Projektphase erfolgt der wichtige Schritt der Systemoptimierung. „Alle Komponenten sind aufgebaut, auch wenn das Sensornetzwerk noch weiter verdichtet werden muss“, sagt Reinhard Hüttl. „Erst im täglichen Betrieb zeigt sich dann oft im Zusammenspiel der verschiedenen Komponenten, wo und wie noch etwas justiert werden muss.“
Wie bei einem Schiffsneubau nach dem Stapellauf muss nun das Zusammenspiel der Komponenten optimiert, das Betriebspersonal geschult und trainiert und auftretende Probleme im Alltagsbetrieb behoben werden. Bislang sind Einzelkonponenten (so z.B. das Erdbebenmodul) im vorläufigen Warnzentrum des BMG in Jakarta im Einsatz gewesen. Mit der Fertigstellung eines Neubaus, dem erfolgten Einbau der notwendigen Kommunikations- und Rechnerhardware und der Installation aller Softwarekomponenten in den letzten Wochen, steht das System nun erstmals in seiner geplanten Form zur Verfügung.
Pressemitteilung
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2008/deutsch-indonesisches-tsunami-fruehwarnsystem-geht-in-betrieb/