Transatlantikflüge: Klimawandel verdoppelt Turbulenz-Risiko
Jan Oliver Löfken
Verschütteter Kaffee, herabfallende Taschen, durchgeschüttelte und gar verletzte Passagiere: Geraten Flugzeuge in starke Turbulenzen, vergeht vielen Reisenden die Lust aufs Fliegen. Und in den kommenden Jahrzehnten müssen Passagiere auf Routen zwischen Amerika und Europa sogar noch häufiger mit stärkeren Turbulenzen rechnen. Zu diesem Ergebnis kommen Klimaforscher Großbritannien, die die Auswirkungen des Klimawandels auf die starken Jetstream-Winde im Flugkorridor über dem Nordatlantik im Rechner simuliert haben. Wie sie in der Fachzeitschrift „Nature Climate Change“ berichten, sollen besonders in den Wintermonaten die Chancen auf einen ruhigen Transatlantikflug signifikant sinken.
„In den kommenden Jahrzehnten wird der „Bitte Anschnallen“-Hinweis häufiger aufleuchten“, sagt Paul Williams von der University of Reading. Für diese Gewissheit simulierte Williams zusammen mit Manoj Joshi vom Norwich Research Park die Stärke und Häufigkeit von sogenannten „Clear Air“-Turbulenzen in Abhängigkeit von zunehmenden Treibhausgas-Konzentrationen in der Atmosphäre. Sollte sich bis 2050 der Kohlendioxid-Anteil im Vergleich zum Niveau vor Beginn der Industrialisierung verdoppeln, ergaben die berechneten Szenarien 10 bis 40 Prozent stärkere Luftverwirbelungen. Auch die Häufigkeit dieser von Gewittergebieten völlig unabhängigen Turbulenzen könnte sich mit großer Wahrscheinlichkeit verdoppeln.
Für ihre Simulation berücksichtigten Williams und Joshi die komplexen Wechselwirkungen zwischen Ozean und Atmosphäre. Ein steigender CO2-Anteil in der Atmosphäre führte dabei zu einer Verstärkung der Jetstreams, die in zehn bis zwölf Kilometer Höhe Geschwindigkeiten von mehreren hundert Kilometern pro Stunde erreichen können. Die Ursache dieser Starkwinde liegt in den Luftbewegungen zwischen Hochdruckgebieten entlang des Äquators und Tiefdruckgebieten an den Polen. Die auf die Drehung der Erde zurückgehende Corioliskraft lenkt diese Winde über dem Nordatlantik gen Osten. In Jetstream-Regionen können senkrechte Luftbewegungen und besonders an ihren Rändern Verwirbelungen auftreten, die dann Flugzeuge in Turbulenzen stürzen.
„Ein Pilot kann nicht vorhersehen, wann ihn eine solche Clear-Air-Turbulenz erwischt“, sagt Jörg Handwerg, Sprecher der Piloten-Vereinigung Cockpit, der selbst die Nordatlantikroute oft geflogen ist. Vor Gewittern, die ebenfalls starke Turbulenzen verursachen, wird vor dem Start zwar gewarnt. Doch die Vorhersage von Jetstream-Turbulenzen mit vertikalen Winden gestaltet sich sehr schwierig. Gerät ein Flugzeug in solche Turbulenzen, verringert der Pilot zuerst die Geschwindigkeit. Bei starken und langanhaltenden Turbulenzen werde laut Handwerg versucht, eine andere Flughöhe einzunehmen. „Doch wegen des starken Luftverkehrs über dem Atlantik ist das oft schwierig.“ Denn mit etwa 300 Flugbewegungen täglich für jede Richtung gehört der Nordatlantik-Korridor zu den meist genutzten Routen der Welt. Die oft genannten „Luftlöcher” sind für Turbulenzen allerdings nicht verantwortlich. „Das ist ein Mythos. Umgangssprachlich beschreiben sie schlicht vertikale Luftbewegungen“, erklärt Handwerg.
Schon heute berichten Piloten über eine Zunahme von Turbulenzen auf der Nordatlantik-Route. Belastbare Studien hierzu gibt es zwar noch nicht, doch die Klimaforscher Williams und Joshi schließen nicht aus, dass dies bereits erste Anzeichen von Auswirkungen des Klimawandels auf den Luftverkehr sein könnten. Leidtragende sind dabei nicht nur Passagiere und Flugpersonal. „Turbulenzen verursachen auch Verspätungen und beschädigen die Flugzeuge“, sagt Williams. Die Folgekosten etwa für einen höheren Kerosinverbrauch und notwendige Wartung werden schon heute auf 120 Millionen Euro pro Jahr geschätzt. Williams betont auch, dass der Flugverkehr selbst teilweise für den Klimawandel verantwortlich sei: „Es ist schon Ironie, dass das Klima sich für das Fliegen mit einer turbulenteren Atmosphäre zu rächen scheint.“
Wissenschaft aktuell gemäß den Bedingungen der Quelle
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2013/transatlantikfluege-klimawandel-verdoppelt-turbulenz-risiko/