Schutzschild der Antarktis bröckelt

Festlandgletscher werden noch vom umgebenden Schelfeis gestützt – doch ein neues Modell zeigt Gefahrenzonen.

Jan Oliver Löfken

Rund um die Antarktis schwimmen riesige Schelfeisflächen auf dem Küstengewässer. Diese mehrere hundert Meter dicken Eismassen sind direkt mit den Gletschern auf dem Festland verbunden, bilden eine Art Schutzschild und verhindern ein allzu schnelles Abrutschen. Eine Arbeitsgruppe konnte nun mit einem komplexen mathematischen Modell den aktuellen Zustand dieses Schutzschilds abschätzen. In der Fachzeitschrift „Nature Climate Change“ berichten die Forscher, dass das Schelfeis an einzelnen Küstenabschnitten seine Schutzfunktion während der vergangenen zwanzig Jahre bereits verloren hat.

Eine Eislandschaft mit wolkenlosem Himmel.

Der Fleming-Gletscher in der Antarktis

„Im Gegensatz zur Situation auf Grönland nimmt das Festlandeis in der Westantarktis nicht deshalb ab, weil es schmilzt. Dafür ist es viel zu kalt“, sagt Johannes Fürst, Glaziologe an der Universität Joseph Fourier in Grenoble. Der Verlust an Eismassen beruhe dagegen darauf, dass die Gletscher schneller ins Meer flössen als noch vor zwanzig Jahren. Das wachsende Risiko für diesen dynamischen Verlust, der schließlich den globalen Meeresspiegel ansteigen lässt, konnte Fürst nun zusammen mit seinen Kollegen genauer abschätzen. Dazu entwickelten sie ein komplexes Rechenmodell auf der Basis von Eisdicke, Fließgeschwindigkeit und den im Gletscher herrschenden Druckverhältnissen.

Von zentraler Bedeutung für das Nachrutschen der Festlandgletscher sind die schwimmenden Schelfeismassen. Diese verdünnten sich besonders in der Bellinghausen- und in der Amundsensee um bis zu zwei Meter pro Jahr. Die neue Analyse bestätigte, dass hier das Schelfeis kaum noch seine stützende Funktion für das Festlandeis erfüllen könne. „Wir erwarten, dass dort ein weiterer Schelfeisrückgang unmittelbare Konsequenzen hat und zu einem verstärkten Eisausfluss vom Festland führt“, sagt Fürst. Das sei sehr besorgniserregend, weil in dieser Region bereits seit zwei Jahrzehnten eine auffällig schnelle Dickenabnahme der Schelfeise und ein dynamischer Eisverlust im Landesinneren beobachtet wurde.

An anderen Küstenabschnitten, wie etwa entlang der Rosssee, zeigte sich das Schelfeis allerdings noch in einem besseren Zustand. Hier müsse bei einem weiteren Rückgang etwa durch Kalben von Eisbergen nicht direkt mit einem beschleunigten Nachrutschen der Festlandgletscher gerechnet werden. Wie lang dort das Schelfeis allerdings seine schützende Funktion erfüllen könnte, lässt sich bisher nicht exakt bestimmen. Aber mit dem neuen Schelfeis-Modell steht – gekoppelt mit stetig aktualisierten Satellitenaufnahmen – eine weitere Methode zur Verfügung, um den Rückgang der Eismassen der Antarktis genauer abschätzen zu können.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2016/schutzschild-der-antarktis-broeckelt/