„Ich werde mit im Kontrollraum sitzen“
Sven Titz
Von 2002 bis 2017 kartierten die beiden Satelliten der Mission GRACE das Erdschwerefeld extrem präzise. Die aufgezeichneten Daten geben unter anderem Aufschluss über austrocknende Grundwasserspeicher, das Abschmelzen der Gletscher oder die innere Struktur der Erde. „GRACE Follow-On“ wird diese Messreihe nun fortsetzen: Die beiden Satelliten der Nachfolgemission sollen voraussichtlich am 22. Mai ins All starten. Frank Flechtner vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam – der leitende Wissenschaftler der Mission – berichtet im Interview, welche Instrumente sich an Bord der beiden Raumsonden befinden und was sich Hydrologen, Glaziologen und andere Nutzer von den neuen Daten versprechen.
Welt der Physik: GRACE Follow-On oder kurz GRACE-FO ist die Nachfolgemission von GRACE. Hat sich das generelle Messprinzip verändert?
Frank Flechtner: Nein. Auch die neue Mission besteht aus zwei Satelliten, die im Abstand von 220 Kilometern auf einer polaren Bahn in einer Höhe von etwa 490 Kilometern um die Erde fliegen. Nehmen wir ein Beispiel: einen Berg wie den „Mont Blanc“. Kommen die beiden Satelliten angeflogen, wird der erste von der zusätzlichen Masse – dem Mont Blanc – angezogen, der zweite aber noch nicht so stark. Das folgt einfach aus dem Gravitationsgesetz. Der Unterschied wird sofort in einer Abstandsänderung der beiden Satelliten sichtbar und setzt sich beim Überflug in bestimmten Mustern fort. Diese Daten sammeln wir kontinuierlich. Aus den Abstandsänderungen können wird dann Rückschlüsse auf die Massenänderungen am Boden ziehen.
Was ist bei GRACE-FO noch genauso wie beim Vorgänger und was ist neu?
Der Name „Follow-On“ sagt ja schon – wir haben das gleiche Ziel wie vorher. Wir wollen monatliche Karten des Schwerefelds erstellen und daraus Änderungen im Erdsystem ermitteln, also zum Beispiel das Schrumpfen des grönländischen Eisschilds. Neu an der Mission ist vor allem ein besonders genaues Abstandsmessgerät, das „Laser-Ranging-Interferometer“. Das fliegt mit, um die Tauglichkeit dieser Technologie für künftige Schwerefeldmissionen nachzuweisen.
Neben der hochpräzisen Abstandsmessung per Laser haben Sie bei GRACE-FO auch die herkömmliche Abstandsmessung mit Mikrowellen an Bord, genau wie bei GRACE. Ist die herkömmliche Messmethode jetzt ebenfalls genauer als vorher?
Nein, das ist ein Nachbau. Der wird von unserem US-amerikanischen Partner gestellt, dem Jet Propulsion Laboratory in Pasadena. Die Messgenauigkeit mit den Mikrowellen beträgt ungefähr ein Mikrometer. Damit soll die Messreihe von GRACE verlängert werden. Das Laserinstrument soll zehn- bis zwanzigmal genauer messen.
Wollen Sie das neue Lasermessgerät bloß testen oder gehen dessen Daten auch in die Forschung?
Wir werden verschiedene Dinge damit machen. Es ist technisch möglich, die beiden Messverfahren zeitgleich einzusetzen. Sobald wir das Laser-Ranging-Interferometer in Betrieb genommen haben, kann man zum Beispiel eine monatliche Schwerefeldkarte einmal mit Mikrowellen auswerten und einmal per Laser. Wenn wir das geschafft haben, wollen wir das Lasergerät über einen längeren Zeitraum betreiben, ein Jahr vielleicht. Dann können wir beispielsweise saisonale Zyklen im Wasserkreislauf – gemessen mit Laser und mit Mikrowellen – gegenüberstellen.
Wird das Lasergerät indirekt auch eine höhere räumliche Auflösung des Schwerefelds liefern?
Im Prinzip ja. Aber man sollte sich das nicht zu einfach vorstellen. Wenn man mit dem Laser den Abstand zwischen den Satelliten zehnmal genauer misst, wird damit nicht gleich die räumliche Auflösung zehnmal genauer. Es spielen auch andere Fehlerquellen eine Rolle – etwa der Einfluss von Sonnenstrahlung und hoher Atmosphäre auf die Satellitenbahn. Man müsste daher auch die Beschleunigung oder Abbremsung genauer messen, die nicht durch das Schwerfeld verursacht wird. Ein anderes Beispiel sind kurzzeitige Massenänderungen in der Atmosphäre, erkennbar in Hoch- und Tiefdruckgebieten. Die können wir bisher nur mit Modelldaten von Wetterdiensten korrigieren. Um zehnmal so genau zu werden wie GRACE, muss man also bei späteren Nachfolgemissionen weitere Überlegungen anstellen.
Sie haben bei GRACE-FO auch Empfänger für Messungen per „Radiookkultation“ eingebaut. Was ist das denn?
Oben auf den Satelliten haben wir eine GPS-Antenne, mit der wir die Satelliten navigieren. Auf der Rückseite der beiden Satelliten haben wir eine weitere GPS-Antenne installiert. Damit beobachten wir GPS-Satelliten, wenn sie – aus Sicht von GRACE-FO – hinter der Erde verschwinden. Zeigt der Signalweg durch die Erdatmosphäre nun Abweichungen, die von der Luftdichte abhängen, können wir daraus Temperaturen und Luftfeuchte bestimmen. Das ist aber bloß eine Nebennutzung der Satelliten.
Jetzt bleiben nur noch wenige Tage bis zum Start.
Ja, voraussichtlich am 22. Mai starten wir in Kalifornien mit einer Falcon 9 der Firma „SpaceX“ . Ich werde dann mit im Kontrollraum sitzen und das finale „Go“ für GRACE-FO geben. Es wird ein sogenannter Ride-Share-Start, bei dem mehrere Satelliten ins All befördert werden. Wir sitzen dabei sozusagen oben drauf und darunter fünf Satelliten einer anderen Firma. Wir werden zuerst abgetrennt, dann werden die übrigen Satelliten in ihren Orbit gebracht.
GRACE hat die nominelle Dauer mit 15 Jahren deutlich überschritten. Wie lang soll die neue Mission dauern?
Die Bausteine der Satelliten sind auf eine Lebensdauer von fünf Jahren ausgerichtet. Aufgrund der guten Erfahrungen mit GRACE haben wir natürlich die Hoffnung, dass wir vielleicht noch ein sechstes oder siebtes Jahr dranhängen können.
Sie sprachen von späteren Nachfolgemissionen. Stehen Sie dafür schon in Verhandlungen?
Die NASA hat gerade erst entschieden, welche Projekte in den nächsten zehn Jahren Priorität haben sollen. Und da hat „GRACE-2“, wie der Nachfolger von GRACE-FO genannt wird, die höchste Prioritätsstufe erhalten. Es laufen gerade erste Diskussionen. Auch rund um den Start wird es Gespräche geben. So etwas hat aber immer einen langen Vorlauf. Wir sind jedenfalls dabei. Bis sich Konzepte entwickeln, wie das gehen könnte, wird es sicher noch einige Monate dauern. Der Start wäre dann zwischen 2025 und 2027.
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Das Schwerefeld der Erde
Ob man auf dem Äquator steht oder am Südpol macht sich nicht nur bei den Temperaturen bemerkbar, auch das Gewicht ist hier ein anderes: Ein Mensch würde in der Antarktis zum Beispiel einige Hundert Gramm mehr wiegen. Denn die Anziehungskraft der Erde ist hier minimal größer als am Äquator. Die regionalen Unterschiede im Schwerefeld haben mehrere Ursachen. So ist die Masse auf der Erde nicht gleichmäßig verteilt: Es gibt Berge und Täler und ohnehin ist die Welt keine perfekte Kugel – stattdessen ist sie an den Polen abgeplattet. Zum anderen ist auch die Dichte nicht überall gleich – sowohl in der Erdkruste als auch im Erdmantel und Kern.
Aber auch die aus der Erdrotation resultierende Fliehkraft, die der Gravitation entgegenwirkt und am Äquator am größten ist, spielt eine Rolle. Außerdem tragen auch die Gezeiten minimal zum Erdschwerefeld bei. Alle diese Faktoren bestimmen letztlich, wie schwer ein Körper an irgendeinem Ort dieser Welt ist und wie schnell er dort zu Boden fällt. Bei der oft angegebenen Erdbeschleunigung von 9,81 Meter pro Sekundenquadrat handelt es sich also nur um einen Mittelwert.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2018/ich-werde-mit-im-kontrollraum-sitzen/