Mit Neutrinos die Erde durchleuchten

Wissenschaftler erhaschen einen Blick ins Erdinnere – nicht etwa durch geologische Messungen, sondern mithilfe von Daten des Neutrinoobservatoriums IceCube.

Dirk Eidemüller

Grafik einer aufgeschnittenen Erdkugel, bei der man bis zum Kern sehen kann.

NASA/JPL-Caltech

Neutrinos durchdringen problemlos unseren Planeten. Denn die nahezu masselosen Elementarteilchen treten kaum mit Materie in Wechselwirkung. Das haben sich Wissenschaftler nun zunutze gemacht, um den inneren Aufbau der Erde zu untersuchen – mithilfe der sogenannten Neutrinotomografie. Dieses Verfahren sei unabhängig von geologischen Methoden und könne dadurch Informationen liefern, die anderweitig nicht zugänglich sind, berichtet das Team in der Zeitschrift „Nature Physics“.

Um Neutrinos nachzuweisen, sind riesige Detektoren vonnöten. Der bisher größte und leistungsfähigste Detektor für diese Teilchen ist IceCube am Südpol. Die mit diesem Observatorium aufgespürten Neutrinos stammen aus den Tiefen des Alls, aus der Sonne und aus der Erdatmosphäre. Hier entstehen sie in Teilchenschauern, ausgelöst durch kosmische Strahlung. In der aktuellen Studie konzentrierten sich Andrea Donini von der Universität Valencia und seine Kollegen auf energiereiche Neutrinos. Denn diese können den Planeten nicht ganz so leicht durchqueren wie energieärmere: Ein Teil von ihnen wird vom Gestein absorbiert – und zwar umso stärker, je dichter das Material ist.

Das Team um Donini wertete über 20 000 Ereignisse aus den Jahren 2011 und 2012 aus, bei denen jeweils ein hochenergetisches Neutrino aus der Erdatmosphäre quer durch die Erde geflogen war und schließlich im Detektornetz von IceCube landete. Anhand der Daten konnten die Forscher die Masse der Erde und ihres Kerns, ihr Trägheitsmoment sowie ein einfaches Modell des Erdinneren rekonstruieren. Tatsächlich stimmt das Resultat mit dem geologischen Standardmodell überein, das im Wesentlichen auf seismischen Methoden und Schwerkraftmessungen beruht. Mit den bisher ausgewerteten Daten fällt der Blick ins Erdinnere allerdings noch etwas unscharf aus – es bräuchte deutlich mehr energiereiche Neutrinos, um die Unsicherheit der Ergebnisse zu verringern.

Doch nicht nur IceCube wird in den kommenden Jahren sehr viel mehr Daten liefern. Es gehen auch weitere Neutrinoobservatorien in Betrieb. KM3NeT soll etwa im Mittelmeer gen Südhalbkugel schauen, während IceCube vom Südpol aus nach Norden blickt. Die Kombination beider Teleskope ermöglicht gewissermaßen stereoskopische Neutrinoaufnahmen des Erdkerns. Damit wollen die Forscher insbesondere den Übergang vom inneren zum äußeren Erdkern sowie zum Erdmantel analysieren.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2018/mit-neutrinos-die-erde-durchleuchten/