Stärkste Schmelze seit Jahrhunderten
Sven Titz
Die Temperaturen sind auch in Grönland deutlich gestiegen. Im Sommer entstehen dort inzwischen Tümpel und Bäche auf dem Eis. Besonders stark tauten die Gletscher der Insel im Jahr 2012. Eine Gruppe um Luke Trusel von der amerikanischen Rowan University in New Jersey hat nachgewiesen, dass diese Schmelze in den vergangenen 350 Jahren einzigartig war. Ihre Analyse von Eisbohrkernen stellten die Forscher jetzt im Wissenschaftsmagazin „Nature“ vor.
Das internationale Team um Trusel analysierte Bohrkerne aus dem Westen des grönländischen Eisschilds. In dieser Region ist die Sommertemperatur in den vergangenen 200 Jahren um zwei bis drei Grad Celsius gestiegen. Besonderes Augenmerk legten die Wissenschaftler auf Eisschichten, die nach kurzfristigem Antauen und Wiedergefrieren von Schnee entstehen. Solche Schichten zeichnen sich in den zylindrischen Bohrkernen als dunkle Bänder ab. Mithilfe der charakteristischen Eisschichten sollte sich die Schmelze auf der Insel in der Vergangenheit rekonstruieren lassen. Dazu mussten die Forscher aber zeigen, dass die Schmelze an den Stellen, wo sie die Eisbohrkerne geborgen hatten, repräsentativ für größere Flächen Grönlands ist. Das gelang ihnen durch einen Vergleich der Resultate aus den Bohrkernen mit Satellitenbildern und Computerberechnungen des Tauwetters.
Die ältesten untersuchten Eisschichten waren 350 Jahre alt. Entsprechend lang reicht die Rekonstruktion der Schmelze in die Vergangenheit zurück. Die Menge an Schmelzwasser, die von der Oberfläche abgeht, habe im Vergleich zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts um ungefähr fünfzig Prozent zugenommen, berichten die Forscher. Zuvor waren nur Schmelzraten aus den letzten Jahrzehnten bekannt, die anhand von Satellitenbildern ermittelt wurden. Schon ein sehr kleiner Temperaturanstieg habe in den vergangenen Jahren eine exponentielle Zunahme der Schmelze verursacht, sagt Koautorin Sarah Das von der Woods Hole Oceanographic Institution in Massachusetts, USA. Dadurch wachse auch der Beitrag zum Anstieg des Meeresspiegels.
Die Resultate der Studie seien eigentlich nicht überraschend, kommentiert Santiago de la Peña von der Ohio State University, der nicht an der Studie beteiligt war. Bis in die 1970er- und 1980er-Jahre sei der größte Teil des Eisverlusts von Grönland durch kalbende Gletscher entstanden. In höheren Regionen des Eisschilds habe es bis vor Kurzem keine Schmelze gegeben.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2018/staerkste-schmelze-seit-jahrhunderten/