„Wir bringen die Physik ins Spiel“
Katharina Luckner
Wenn ein Vulkan ausbricht, kann es gefährlich werden. Umso wichtiger ist es, den wahrscheinlichsten Ort für einen Ausbruch vorhersagen zu können. Doch das ist gar nicht so einfach. Denn selbst kegelförmige Vulkane spucken ihre Lava nicht immer aus dem zentralen Schlot – auch an den Flanken kann der Vulkan ausbrechen. Eleonora Rivalta vom Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam und ihre Kollegen haben nun ein neues Modell entwickelt, das die Vorhersage von möglichen Ausbruchsorten genauer machen soll. Im Interview mit Welt der Physik erklärt die Geophysikerin, wie das neue Modell funktioniert.
Welt der Physik: Worum geht es in Ihrer Forschung und warum ist sie wichtig?
Eleonora Rivalta: Mit unserem Modell wollen wir vorhersagen, an welcher Stelle am wahrscheinlichsten ein Vulkan ausbrechen wird. Das ist zum Beispiel wichtig, damit Gemeinden, die in der Nähe eines Vulkans liegen, langfristige Bauprojekte planen können. Aber auch im Ernstfall spielt die genaue Ausbruchsstelle eine große Rolle: Modelle, die den Weg des austretenden Gas-Gestein-Gemischs vorhersagen oder beschreiben, wie sich Aschewolken ausbreiten, brauchen Kenntnis über einen präzisen Ausbruchsort. Nur so können Menschen gewarnt werden und schnell reagieren.
Warum ist es schwierig, den Ausbruchsort eines Vulkans vorherzusagen?
Das Magma lagert in einer Magmakammer tief unter der Erde. Bei einem Ausbruch tritt es aus der Tiefe an die Oberfläche, indem es Gestein zerbricht und dadurch sogenannte Vulkanschlote schafft. Wir wissen bei den meisten Vulkanen sehr genau, wo die Magmakammer liegt, kennen aber den wahrscheinlichsten Verlauf der Schlote bei einem Ausbruch nicht. Denn der Weg des Magmas zwischen Magmakammer und Oberfläche verläuft nicht einfach senkrecht – das Magma bahnt sich kompliziertere Wege. Zu bestimmen, wo genau ein Ausbruch am wahrscheinlichsten ist, ist daher schwierig.
Wie hat man bislang den Ausbruchsort von Vulkanen vorhergesagt?
Bisher hat man angenommen, dass ein Vulkan dort ausbrechen wird, wo vergangene Vulkaneruptionen am häufigsten stattgefunden haben. Mithilfe von empirischer Feldarbeit und Satellitenbildern haben Wissenschaftler die Ausbruchsorte sehr genau untersucht und Karten der häufigsten Ausbruchsorte erstellt. Doch diese Methode ist leider für Gebiete mit wenigen oder gar keinen historischen Ausbrüchen sehr unsicher.
Und wie funktioniert Ihr neues Modell?
Wir bringen die Physik ins Spiel. Um den genauen Verlauf der potenziellen Vulkanschlote zu bestimmen, betrachten wir in unserem Modell die physikalischen Einflüsse auf einen Vulkan. Denn auf Vulkane wirken verschiedene Spannungsfelder – etwa tektonische Spannungen. Diese entstehen, wenn sich darunterliegende Platten verschieben. Außerdem berücksichtigen wir das Gewicht der Vulkane, denn die Gewichtsverteilung ist bei einem kegelförmigen Schichtvulkan ganz anders als bei kesselförmigen Calderas. Auch Ereignisse wie Erdbeben oder das Absacken eines Vulkankraters beeinflussen Vulkaneruptionen. Zusammengenommen bestimmen diese Einflüsse für jeden Ausgangspunkt des Magmas, welchen Weg es sich an die Oberfläche bahnen wird. Diese physikalischen Einflüsse wurden in anderen Modellen bislang noch nicht berücksichtigt.
Wie beeinflussen diese Phänomene denn die Vulkanschlote?
Bei einem kegelförmigen Vulkan lastet beispielsweise viel Gewicht auf einem Punkt. Das sorgt dafür, dass sich die Schlote in Richtung der Kegelspitze beugen. Bei einer Caldera ist es genau umgekehrt. Durch den Zusammenbruch der Vulkandecke und die dezentrale Gewichtsverteilung beugen sich die Schlote über eine größere Fläche.
Wie lassen sich mit Ihrem Modell jetzt Vorhersagen treffen?
Zuerst kalibrieren wir unser Modell für einen bestimmten Vulkan – in unserem Fall für die Phlegräischen Felder in der Nähe von Neapel. Dazu nehmen wir zunächst eine Gewichtung für die verschiedenen Spannungsquellen an und simulieren die Verteilung der Vulkanschlote viele Millionen Mal für die verschiedenen physikalischen Einflüsse. So können wir die wahrscheinlichsten Ausbruchsorte bestimmen. Anschließend vergleichen wir das Ergebnis mit vergangenen Ausbruchsorten und können so überprüfen, ob die angenommene Gewichtung passt. Dieses Prozedere wiederholen wir so lange, bis wir bekannte Ausbruchsstellen möglichst gut vorhersagen können. Die Phlegräischen Felder sind beispielsweise 1538 am heutigen Monte Nuovo ausgebrochen. Unser Modell zeigt eine relativ große Wahrscheinlichkeit für diesen Ausbruchsort – das hat bislang kein anderes Modell geschafft, denn der Monte Nuovo liegt außerhalb des Gebiets mit der höchsten Ausbruchsdichte. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie wir unser Modell immer wieder überprüfen.
Was sind die nächste Schritte Ihrer Forschung?
Als Nächstes werden wir unser Modell für andere Vulkane kalibrieren. Wir wollen beispielsweise die Modellparameter für den Ätna auf Sizilien und den Piton de la Fournaise auf La Réunion anpassen. Dabei handelt es sich um Schichtvulkane mit Kegeln, die ganz andere Eigenschaften als die Phlegräischen Felder haben. Wir interessieren uns auch für den Yellowstone und können das Modell hoffentlich bald auch auf weitere Vulkane in den Vereinigten Staaten anwenden.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2019/wir-bringen-die-physik-ins-spiel/