Beschleunigte Eisschmelze
Durch das Abschmelzen der Gletscher auf Grönland steigt der Meeresspiegel derzeit um einen knappen Millimeter pro Jahr an. Eine internationale Gruppe von Klimaforschern rekonstruierte nun den Verlust an Eismasse im Verlauf der vergangenen 12 000 Jahre. In dem gesamten Zeitraum habe sich nur einmal eine vergleichbar starke Gletscherschmelze – verursacht durch natürliche Klimaschwankungen – ereignet, so das Team in der Zeitschrift „Nature“. Und die vom Menschen verursachte Erderwärmung könne den Verlust an Gletschereis auf Grönland künftig sogar noch um ein Vielfaches beschleunigen.
Jason Briner von der University at Buffalo und seine Kollegen entwickelten ein Computermodell, das die Eisschmelze im Südwesten Grönlands über einen langen Zeitraum beschreibt – angefangen vor 12 000 Jahren bis zum Jahr 2100. Grundlage bildete eine Klimastudie aus diesem Jahr. Darin schloss ein Forscherteam anhand von Eisbohrkernen und Analysen des schweren Sauerstoffisotops 18O auf die Klimaentwicklung und sogar den Schneefall auf Grönland im Lauf des Holozäns, also des gegenwärtigen Zeitalters der Erdgeschichte. Briner und seine Kollegen nutzten die Daten, um die Entwicklung des Eisschilds auf Grönland in der Vergangenheit zu rekonstruieren und für die Zukunft abzuschätzen. Ihr Computermodell erreichte dabei eine räumliche Auflösung von bis zu zwei Kilometern.
„Wir haben unseren Planeten so sehr verändert, dass die Schmelzraten heute größer sind als alles, was wir in den vergangenen 12 000 Jahren gesehen haben“, fasst Briner die Ergebnisse zusammen. Zwar schmolzen während einer Warmphase vor 7000 bis 10 000 Jahren bis zu 6000 Milliarden Tonnen Eis innerhalb eines Jahrhunderts ab. Zwischen den Jahren 2000 und 2018 verschwand das Eis aber bereits mit einem Tempo von 6100 Milliarden Tonnen pro Jahrhundert. Die berechneten Werte verglich das Team mit verfügbaren historischen Daten sowie Satellitenmessungen aus den vergangenen Jahrzehnten. Tatsächlich stimmte das Computermodell weitestgehend mit den Messwerten überein.
Damit steige die Wahrscheinlichkeit, so Briner und seine Kollegen, dass das Modell auch für die kommenden Jahrzehnte zuverlässige Vorhersagen liefere. Wird der Ausstoß an Kohlendioxid nicht schnell und stark reduziert, könnten die Schmelzraten sogar auf 9000 bis 35 900 Milliarden Tonnen pro Jahrhundert ansteigen, so die Prognose der Forscher. Damit würde allein das Schmelzwasser aus Grönland den Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts um zwei bis zehn Zentimeter ansteigen lassen. „Wir können also zunehmend sicher sein, dass wir mit beispiellosen Schmelzraten auf Grönland rechnen müssen, wenn die Emissionen an Treibhausgas nicht drastisch reduziert werden“, folgert auch Andy Aschwanden von der University of Alaska in Fairbanks in einem begleitenden Kommentar.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2020/beschleunigte-eisschmelze/