Das Echo der Erdbeben

Künstliche Intelligenz und seismische Messdaten aus mehreren Jahrzehnten liefern ein genaueres Bild von der Grenze zwischen Erdmantel und Erdkern.

Jan Oliver Löfken

Grafik: Blick in die aufgeschnittene Erde und die einzelnen Segmente vom Erdkern bis zur Erdkruste

iStock/forplayday

Starke Beben erschüttern den Planeten und erzeugen dabei seismische Wellen, die sich in alle Richtungen ausbreiten – auch ins Erdinnere. Mit Seismometern auf dem gesamten Globus zeichnen Geowissenschaftler diese Wellen auf und gewinnen so wertvolle Einblicke in den inneren Aufbau der Erde. Ein Forscherteam wertete nun seismische Daten aus den vergangenen dreißig Jahren aus, um die Grenze zwischen festem Erdmantel und flüssigem Erdkern genauer zu betrachten. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz offenbarten die Messdaten bisher unbekannte geologische Strukturen tief unter dem Pazifik, berichten die Wissenschaftler in der Zeitschrift „Science“.

Doyeon Kim von der University of Maryland in den USA analysierte zusammen mit seinen Kollegen rund 7000 Seismogramme, die zwischen 1990 und 2018 nach starken Erdbeben im Pazifikraum aufgezeichnet worden waren. Die Daten verrieten, wie schnell sich die Bebenwellen jeweils durch den Erdkörper bewegten und wie sie an tiefen geologischen Strukturen gebrochen und reflektiert wurden. Frühere Auswertungen dieser Daten lieferten bereits ein grobes Bild der Kern-Mantel-Grenze. Doch in der neuen Analyse gelang es den Forschern, auch bisher übersehene Signale in den Daten zu entdecken. „Maschinelles Lernen zeigt uns mehr seismische Echos und liefert so neue Einblicke in die Strukturen an der Unterseite des Erdmantels“, erläutert Kim.

Grafik: Zentriert auf den Pazifik zeigt der Ausschnitt einer Weltkarte die Standorte von Erdbeben und Seismometern; hervorgehoben ist besonders Hawaii

Neue Einblicke ins Erdinnere

Mithilfe der verwendeten Computeralgorithmen spürten die Forscher in den zahlreichen Seismogrammen wiederkehrende Muster auf. Indem sie die Daten nicht einzeln, sondern als Ganzes auswerteten, ließen sich auch schwache Signale erkennen, die sonst im Rauschen untergegangen waren. Die Ergebnisse dieser Analyse: Unter den Vulkaninseln des Hawaii-Archipels dehnt sich – in einer Tiefe von rund 2900 Kilometern – eine Zone mit sehr dichtem und heißem Material sehr viel weiter aus als bisher angenommen. Zudem entdeckten die Geowissenschaftler eine bisher unbekannte Region mit ähnlichen Eigenschaften unter den Marquesas-Inseln im Südpazifik.

Auch aus älteren seismologischen Messdaten lassen sich also noch spannende Erkenntnisse gewinnen. „Diese Analysemethode könnte ein neues und hochaufgelöstes Bild von der strukturellen Vielfalt in der tiefen Erde liefern“, schreibt die nicht an dieser Studie beteiligte Geowissenschaftlerin Meghan Miller von der Australian National University in Canberra in einem begleitenden Kommentar.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2020/das-echo-der-erdbeben/