Gletscher schmilzt von unten

Warme Meeresströmung vom Atlantik beschleunigt das Abtauen riesiger Eismassen in Grönland.

Jan Oliver Löfken

Das Forschungsschiff „Polarstern“ steuert auf Grönland zu, dessen Küste von Eisschollen umgeben ist.

Nat Wilson/AWI

Schmelzende Gletscher in Grönland sind für etwa ein Viertel des Meeresspiegelanstiegs verantwortlich. Nun entdeckten Wissenschaftler, dass eine besonders große Gletscherzunge nicht nur an der Oberfläche, sondern auch an ihrer Unterseite immer schneller abschmilzt. Wie das Team in der Fachzeitschrift „Nature Geoscience“ berichtet, liegt die Ursache in einer schnellen Strömung relativ warmen Ozeanwassers.

Janin Schaffer vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und ihre Kollegen untersuchten auf einer Expedition mit dem Forschungsschiff Polarstern den Meeresboden und Wasserströmungen im Nordosten der weltgrößten Insel. Dabei analysierten sie sowohl die Topologie des Meeresbodens als auch Geschwindigkeit und Temperatur der Strömungen unter einer etwa achtzig Kilometer langen, auf dem Meer schwimmenden Gletscherzunge. Am Meeresboden machten die Forscher einen etwa zwei Kilometer breiten Graben aus, in dem relativ warmes Wasser aus dem Atlantik wie in einem Kanal auf den Gletscher zuströmt. Durch diesen Wärmetransport verursacht der Ozean ein erhebliches Schmelzen an der Gletscherunterseite.

Ein Wissenschaftler steht in einer Gondel, die an einem Kran befestigt über einem mit Eisschollen durchsetzten Meeresabschnitt hängt. Mit einem langen weißen Stab will er ein orangefarbenes Messgerät aus dem Wasser bergen.

Forscher bergen Messgeräte

Zugleich fließen große Eismassen vom bis zu 3400 Meter dicken grönländischen Eispanzer nach, sodass die Größe der oberflächlich sichtbaren Gletscherzunge relativ konstant bleibt. Doch tatsächlich nahm die Dicke der Zunge in den vergangenen zwanzig Jahren dramatisch ab. Detailmessungen zeigten nun, dass die Warmwasserschicht vor und unter diesem sogenannten 79°-Nord-Gletscher in diesem Zeitraum immer wärmer wurde und sich zudem nach oben ausdehnte. Ein ähnliches Phänomen trat auch an der Ostküste Grönlands auf, wo sich der Gletscher Zachariæ Isstrøm ins Meer schiebt.

Die aktuellen Messungen passen zu der bereits bekannten Tatsache, dass das grönländische Eis heute siebenmal schneller als noch in den 1990er-Jahren taut. „Wenn sich dieser Prozess weiter verstärkt, wird in Zukunft mehr Eismasse vom Festland über den nordostgrönländischen Eisstrom – über den ein Fünftel des gesamten grönländischen Eisschilds abfließt – in den Ozean transportiert werden“, erläutert Schaffer. Die Ergebnisse der neuen Studie machen es künftig leichter, die Gesamtmenge an Schmelzwasser besser zu bestimmen, die der grönländische Eispanzer in jedem Jahr verliert.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2020/gletscher-schmilzt-von-unten/