Mit Lichtgeschwindigkeit vor Erdbeben warnen
Löst ein Erdbeben unter dem Meeresboden einen Tsunami aus, gilt es, die Wellen des Bebens in kürzester Zeit zu analysieren, um vor dem heranrollenden Tsunami zu warnen. Nun zeigten Geophysiker, dass sich mit einer neuen Methode die Beben noch schneller und exakter als bisher analysieren lassen. Die Forscher nutzten dafür Schwankungen im Schwerefeld der Erde, die dort nach einem Erdbeben auftreten und sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Erste Ergebnisse dieser Nachweismethode präsentieren sie in der Fachzeitschrift „Nature“.
Bisher greifen die Warnsysteme für Tsunamis auf schnelle Erdbebenwellen – auch seismische Wellen genannt – zurück. Sie breiten sich im Erdkörper aus und erreichen dort Geschwindigkeiten von 18 000 bis 50 000 Kilometern pro Stunde. Damit sind sie deutlich schneller als die Wellen eines Tsunamis, den das Beben auslöst und der sich mit bis zu 800 Kilometern pro Stunde bewegt. Zwischen dem Eintreffen der seismischen Wellen und dem Tsunami ergibt sich dann ein Zeitfenster von wenigen Minuten für die Warnsysteme.
Auf der Suche nach einem schnelleren Weg, Beben aufzuspüren, untersuchten Andrea Licciardi von der Universität Côte d’Azur in Sophia Antipolis und seine Kollegen nun die vielen Datensätze, die in Japan von zahlreichen Messstationen nach dem Tōhoku-Erdbeben am 11. März 2011 aufgezeichnet worden waren. Darin waren neben den seismischen Signalen auch Schwankungen der Gravitation zu sehen. Ursache für diese Schwankungen sind die Verschiebungen großer Erdmassen, die direkt die lokal wirkende Schwerkraft beeinflussen.
Die Signale dieser Schwankungen – sogenannte elastogravitative Signale – breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit, also rund 300 000 Kilometern pro Sekunde, aus und kommen damit noch deutlich schneller als die Erdbebenwellen an den Messstationen an. Allerdings sind sie extrem schwach und werden zudem leicht von störenden Rauschsignalen überdeckt. Aber mit dem Einsatz von Methoden der künstlichen Intelligenz gelang es dem Forscherteam, die Signale aus den Datensätzen herauszufiltern und zu analysieren.
„Mit dieser Methode konnten wir die Stärke des Fukushima Erdbebens in Japan schneller und genauer bestimmen als mit bisherigen Systemen – und das ganz ohne seismische Wellen“, sagt Licciardi. So hatten frühere Analysen der seismischen Wellen bei dem Tsunami im März 2011 die Stärke des Bebens und damit auch die Höhe der zu erwartenden Tsumamiwellen unterschätzt. Erst mit Verzögerung hatten Untersuchungen der seismischen Wellen den tatsächlichen Wert geliefert. Die neue Methode hingegen schätzte die Stärke des damaligen Bebens direkt auf den korrekten Wert der Magnitude von 9,0.
Damit haben die Geophysiker gezeigt, dass Signale, die aus Änderungen der Schwerkraft resultieren, sich tatsächlich zu einer schnelleren und genaueren Bestimmung der Erdbebenstärke eignen. Zudem ließe sich der Zeitvorteil für eine Tsunamiwarnung wegen der lichtschnellen Ausbreitung um bis zu wenige Minuten verlängern. So könnte in naher Zukunft die Analyse der Bebendaten in den Messstationen um die Auswertung der elastogravitativen Signale erweitert werden.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2022/seismologie-mit-lichtgeschwindigkeit-vor-erdbeben-warnen/