Neue Hoffnung für frühzeitige Erdbebenwarnung

Eine Analyse tausender Positionsmessungen zeigt deutliche Vorzeichen bereits zwei Stunden vor einem starken Beben.

Jan Oliver Löfken

Weiße Schwingungen und Kreise auf rotem Grund

Varunyu/iStock

Möglichst frühe Warnungen vor Erdbeben könnten Menschenleben retten und teure Folgeschäden reduzieren. Doch trotz zahlreicher Ansätze in den vergangenen Jahrzehnten ist es bislang nicht möglich, Erbeben sicher und kurzfristig vorherzusagen. Neue Hoffnung macht nun eine Studie von zwei Seismologen: Wie sie in der Fachzeitschrift „Science“ berichten, könnte eine Datenanalyse von Positionssensoren in Bebenregionen bis zu zwei Stunden im Voraus vor einem starken Erdbeben warnen.

Quentin Bletery von der Universität Côte d’Azur und Jean-Mathieu Nocquet von der Paris Cité Universität konzentrierten sich für ihre Studie auf 90 sehr starke Erdbeben mit der Stärke 7 und größer. Diese traten in den vergangenen Jahrzehnten in den hoch gefährdeten Küstenregionen rund um den Pazifik, im Norden der Türkei, im Iran und in Indonesien auf. Für alle Beben analysierten die beiden Seismologen zeitlich hochaufgelöste GPS-Positionsdaten von insgesamt 3026 Messstationen, die bis zu 48 Stunden vor dem Beben erhoben worden waren.

Weltkarte mit rot markierten Küstengebieten rings um den Pazifischen Ozean

Pazifischer Feuerring

Die Messstationen zeichneten winzige Bewegungen der Erdoberfläche in den Bruchzonen der Bebenregionen auf. Die Stärke dieser Bewegungen lässt sich über das seismische Moment bestimmen: ein Maß mit Einheit Newtonmeter für die Stärke einer Erdbewegung. Dabei fließen sowohl die Ausmaße einer Bewegung als auch deren Wucht mit ein. In ihrer Analyse ermittelten die Forschenden, wie sich das seismische Moment im Fünfminutentakt veränderte. Das Ergebnis: Etwa zwei Stunden vor dem Hauptbeben stiegen die Werte exponentiell an.

In weiteren Schritten überprüften Bletery und Nocquet, ob dieses Verhalten signifikant war oder nur eine zufällige Veränderung der Messwerte. Tatsächlich bestätigte die statistische Analyse, dass diese Messwerte nur zu einem verschwindend geringen Anteil von 0,3 Prozent durch zufällige Schwankungen erklärbar waren. Somit bestehen gute Chancen, dass der exponentielle Anstieg des seismischen Moments zwei Stunden vor einem Beben als Warnsignal taugen könnte.

Bevor diese Erkenntnis zu einer praktischen Bebenwarnung führen kann, müssen allerdings noch weitere Untersuchungen folgen. Zudem basiert die Analyse ausschließlich auf Erdbeben der Vergangenheit – für zukünftige Beben müsste sich diese Methode erst einmal bewähren. Dafür ist ein engmaschiges Netz an Messstationen nötig, das noch nicht in allen Bebenregionen existiert. Doch sollten in Zukunft auch diese Hürden genommen werden, könnten mit einer Vorwarnzeit von zwei Stunden nicht nur Brücken und Gasleitungen gesperrt oder Kraftwerke heruntergefahren werden. Auch eine Evakuierung von Gebäuden und eine Flucht der betroffenen Bevölkerung in geeignete Schutzräume wäre möglich.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2023/neue-hoffnung-fuer-fruehzeitige-erdbebenwarnung/