Rekordbohrung in den Erdmantel

Noch nie gelang es, derart tiefes Material aus der Erde zu gewinnen. Nun liefert eine neue Probe wichtige Einsichten in den Erdmantel.

Dirk Eidemüller

Künstlich beleuchteter Boden mit Geröll und einzelnen Korallen

IFE, URI-IAO, UW, Lost City Science Party; NOAA/OAR/OER; The Lost City 2005 Expedition

Bohrungen in die Tiefe erlauben uns, weit in die Vergangenheit unseres Planeten zu blicken. Denn aus der Zusammensetzung von Materialproben lassen sich Rückschlüsse auf geologische Prozesse, das Klima und die Entstehung von Leben ziehen. Nun gelang es Forschenden, unter dem Mittelatlantischen Rücken im Atlantischen Ozean einen mehr als einen Kilometer langen Bohrkern zu entnehmen – länger als alle anderen bisher gewonnenen Bohrkerne. Wie sie in der Fachzeitschrift „Science“ berichten, besteht er großteils aus Mineralien aus dem Erdmantel.

Der Mittelatlantische Rücken ist eine besondere geologische Zone. Er zieht sich quer durch den Atlantik und beherbergt eine Reihe ungewöhnlicher Formationen – unter anderem das sogenannte Atlantis-Massiv. Dort liegt Gestein aus dem Erdmantel besonders nahe unter dem Meeresgrund.

Ein Mann betrachtet einen Stein in Form einer langen, längs halbierten Säule; daneben ein Bildschirm

Untersuchung des Bohrkerns

Um das Gestein näher zu untersuchen, hat nun ein Forschungsteam um Johan Lissenberg von der Universität Cardiff eine Bohrung in rekordverdächtige Tiefen vorgenommen. Im Rahmen der „Expedition 399“ des International Ocean Discovery Program (IODP) ist es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gelungen, einen insgesamt 1268 Meter langen Bohrkern aus dem Atlantis-Massiv zu entnehmen.

Anschließend analysierten sie dessen Zusammensetzung. Dabei zeigte sich, dass die Anteile verschiedener Mineralien stark variieren. Außerdem war der Anteil von Pyroxene, einer wichtigen Klasse gesteinsbildender Mineralien, ungewöhnlich gering. Das liegt nach Ansicht der Forschenden wohl an Schmelzprozessen, die sich beim Aufstieg des Gesteins ereignet haben. Außerdem fanden sie bis in 200 Meter Tiefe oxidiertes Material. Es müssen also einst chemische Prozesse stattgefunden haben, bei denen Sauerstoff freigesetzt wurde.

Neuer Bohrkern könnte weitere Rätsel lösen

Neben diesen Erkenntnissen eröffnet der Bohrkern zahlreiche Perspektiven für weitere Untersuchungen. So liegt in dieser Region auch ein ungewöhnliches Hydrothermalfeld namens Lost City. Dort tritt aus bis zu 60 Meter hohen Schloten vor allem unter 120 Grad Celsius warmes Wasser und Methan aus und nicht wie in vulkanischen Unterwasserregionen 350 Grad Celsius heiße, säurehaltige Flüssigkeiten. Welche Rolle solche Bedingungen für die Entstehung des Lebens und den Übergang von Prozessen ohne Beteiligung von Lebensweisen zu selbstreproduzierenden Zellen spielen, ist bislang noch unverstanden.

Zudem hebt sich der Meeresboden beim Atlantis-Massiv um rund zwei Zentimeter pro Jahr. Über die Jahrmillionen sorgt das dafür, dass tiefes Gestein schließlich an die Oberfläche tritt. Kommen dabei Mineralien aus dem Erdmantel in Kontakt mit Wasser, wandeln sie sich um. So werden etwa bereits unter dem Meeresgrund aus dem wasserfreien Olivin aus dem Erdmantel schließlich Serpentin-Minerale, wenn sie mit Meerwasser reagieren. Das verändert wiederum die Umgebung auf dem Meeresboden, was insbesondere für Mikroorganismen wichtig ist.

Mit den neuen Gesteinsproben aus der Tiefe lassen sich also die verschiedenen Prozesse unter dem Meeresgrund eingehend im Labor untersuchen. Das könnte Aufschluss darüber geben, in wie weit sich etwa geschmolzenes Gestein in der Tiefe durch Kanäle bewegt und dadurch unterschiedliche Mineralien gebildet hat. Zudem hoffen die Forschenden auf weitere Bohrkerne aus anderen Regionen, um ein vollständigeres Bild von den Geschehnissen weit unter dem Meeresboden zu gewinnen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2024/geologie-rekordbohrung-in-den-erdmantel/