Seltsame Gammablitze in tropischen Gewittern
Dirk Eidemüller
Gewitterstürme in den Tropen gehören zu den ausgedehntesten und stärksten Gewittern. Seit einigen Jahren ist bekannt, dass dort auch Gammastrahlung entsteht – ein Phänomen, das Atmosphärenphysikerinnen und -physikern seither Rätsel aufgibt. Nun untersuchten Forschungsteams die besonderen Gammablitze mit einem Forschungsflugzeug. Wie sie in zwei Studien im Fachblatt „Nature“ berichten, entdeckten sie dabei sogar eine ganz neue Art von Gammastrahlung aus den Gewitterstürmen.
Schon vor Jahren waren Satelliten auf Gammablitze aus tropischen Gewittern gestoßen. Diese Gewitter sind besonders heftig und erzeugen am häufigsten Gammastrahlung. Bislang waren zwei Arten solcher Gammaemissionen bekannt: Einerseits rund 100 Mikrosekunden dauernde, intensive Gammablitze, die fast immer gemeinsam mit gewöhnlichen Blitzen auftreten. Andererseits eine schwächere, diffuse Gammaemission, eine Art „Gamma-Glühen“, das von weniger als einer Sekunde bis zu einigen hundert Sekunden andauern kann.
Beide Arten entstehen durch Elektronen, die von den starken elektrischen Feldern in Gewitterwolken beschleunigt werden. Diese treffen auf weitere Elektronen, die sie ebenfalls beschleunigen und so ganze Kaskaden hochenergetischer Elektronen hervorrufen. Haben all diese Elektronen genügend Energie, lösen sie Reaktionen in Atomkernen aus, wenn sie mit ihnen zusammenprallen. Dabei entsteht Gammastrahlung und es können sich sogar neue Elemente bilden. Genau verstanden sind diese Prozesse bislang jedoch nicht. Denn die Satelliten, mit denen man sie beobachtet hatte, waren für Strahlung aus dem All – etwa von Supernovae – und nicht für diese irdischen Ereignisse konzipiert.
Mit dem Forschungsflugzeug durchs Gewitter
Doch nun hatte ein Forschungsteam um Nikolai Østgaard und Martino Marisaldi von der Universität Bergen in Norwegen die Gelegenheit, ein ER-2-Forschungsflugzeug der NASA zur Beobachtung von Gewitterstürmen zu nutzen. Dies sind umgebaute alte Spionageflugzeuge, die besonders schnell und hoch fliegen können. In rund 20 Kilometern Höhe flogen sie zehn Mal mehrere Stunden über Gewitterstürmen in der Karibik und in Mittelamerika.
Bei den Flügen entdeckten Østgaard und sein Team eine neue Art von Gammaemission. Insgesamt 24 solcher „flackernden Gammastrahlenblitze“ spürten sie auf. Das Flackern bestehen aus einer Abfolge von rund zehn einzelnen Gammablitzen, jeweils bis zu einer Viertelsekunde lang. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuten, dass die flackernden Gammastrahlenblitze Bindeglieder zwischen kurzen, einzelnen Gammablitzen und der langanhaltenden Emission darstellen. Es könnte sich um langsames „Gamma-Glühen“ handeln, das rasch stärker wird und sich in einer Folge von Pulsen entlädt. Meist entstehen die flackernden Blitze vor gewöhnlichen Gewitterblitzen. Ihre Entstehung könnte laut den Forschenden auch eine Rolle dabei spielen, wie sich gewöhnliche Blitze bilden.
In der zweiten Studie widmeten sich Marisaldi und sein Team dem länger anhaltenden „Gamma-Glühen“. Insgesamt mehr als 500 Mal trat es bei den Flügen auf und dauerte meist einige Sekunden lang – einmal sogar bis zu drei Stunden. Die Gewitterstürme produzierten über Stunden immer wieder solches Gamma-Glühen, und zwar über tausende Quadratkilometer ausgedehnt. Ein solches Ausmaß war aus früheren Studien nicht bekannt. Außerdem variierte das Gamma-Glühen räumlich stärker als bislang angenommen.
„In Gewittern passiert viel mehr, als wir uns jemals vorgestellt haben“, fasst Steve Cummer von der Duke University in Durham in den USA zusammen, der an beiden Studien mitgewirkt hat. Neben den neuen Erkenntnissen werfen die beiden Studien aber auch neue Fragen auf. So sind auch weiterhin viele Details zu den Gammastrahlen aus tropischen Gewittern unverstanden – etwa wie sie genau entstehen, aber auch ihr Wechselspiel mit der Entstehung von gewöhnlichen Gewitterblitzen.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2024/wetter-seltsame-gammablitze-in-tropischen-gewittern/