Steinwälder aus Bonbonmasse
Sven Titz
In China oder Madagaskar sind „steinerne Wälder“ eine Naturattraktion – so nennt man Gesteinsformationen aus dünnen und spitz zulaufenden Felskegeln. Zwar wissen Forscher, dass diese bizarren Landschaften durch Erosion entstanden sind, doch der genaue Mechanismus ist noch unklar. In der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ stellen Wissenschaftler jetzt eine konkrete Hypothese vor: Demnach könnten diese Strukturen durch Wasserströmungen zu erklären sein, die durch den Erosionsprozess selbst hervorgerufen wurden.
Zunächst untersuchte die Gruppe um Jinzi Mac Huang von der New York University in den USA mithilfe von Computersimulationen, wie sich von Wasser umströmtes Gestein verhält. Wasser enthält in der Natur meist einen kleinen Anteil an Kohlensäure, der Karstgestein – also teilweise lösliches Gestein, beispielsweise aus Karbonaten – angreift. In den Simulationen bildeten sich dadurch zunächst kleine Vertiefungen an einzelnen Stellen des Steins. Infolgedessen kamen Strömungen in Gang. Diese Strömungen verstärkten die Auflösung und die Vertiefungen. Mit der Zeit entstanden auf diese Weise die aus der Natur bekannten steinernen Nadeln.
Den Realitätsgrad ihrer Simulationen prüften die Forscher anhand von Experimenten. Anstelle von Gestein verwendeten sie dafür allerdings eine Art Bonbonmasse, die hauptsächlich aus Zucker bestand. Gegenüber Karstgestein besitzt dieses Material einen entscheidenden Vorteil: Weil sich Zucker rasch in Wasser löst, laufen die infrage stehenden Prozesse viel schneller ab. Somit lassen sie sich im Labor in praktikablen Zeiträumen verfolgen.
Zu Beginn der Experimente besaß die Bonbonmasse eine zylindrische Form. Diese tauchten Huang und seine Kollegen vollständig in Wasser. Anschließend filmten sie mit zwei Kameras, wie sich aus dem Zylinder ganz ohne Zutun eine scharfe Spitze herausbildete. Generell gilt: Wenn sich Zucker in Wasser löst, entsteht eine Flüssigkeit mit höherer Dichte als reines Wasser. In den Experimenten bildete sich rund um die Bonbonmasse zuckerhaltiges Wasser, das durch die Schwerkraft nach unten sank und dadurch Strömungen auslöste. Diese Wasserbewegungen verstärkten den Auflösungsprozess dann dergestalt, dass die Spitze immer schärfer wurde.
Das Team um Huang nimmt an, dass in Karstgebieten ähnliche Prozesse auftreten. Sie laufen allerdings wesentlich langsamer ab als in den Experimenten. Weitere Studien müssen nun klären, ob die vorgeschlagene Erklärung zutreffend ist. „Wir haben einen möglichen Mechanismus gefunden, wie die Nadeln entstehen könnten – und es kann ebenso gut andere geben“, erklärt Teammitglied Leif Ristroph, ebenfalls von der New York University. Es sei zum Beispiel denkbar, dass auch Regen eine Rolle bei der Entstehung von Steinwäldern spielt.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/nachrichten/2020/steinwaelder-aus-bonbonmasse/