„Projekt mit sozialer Relevanz“
Tamara Worzewski
Weltweit schlummern gigantische Süßwasservorkommen unter dem Meeresboden. Bislang wissen Forscher allerdings nur wenig über deren genaue Lage, Ausmaße und Eigenschaften. Vor der Küste von Malta – dem wasserärmsten Land in Europa – hat sich ein Team aus Geowissenschaftlern mit dem Forschungsschiff Hercules auf die Suche nach Grundwasser unter dem Meer gemacht. Im Interview mit Welt der Physik erklärt die Fahrtleiterin Marion Jegen vom GEOMAR, dem Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, mit welchen Methoden sie und ihre Kollegen das Süßwasser finden wollen.
Welt der Physik: Wie kommt Süßwasser unter den Meeresboden?
Marion Jegen: Da gibt es verschiedene Thesen. Ein Grundwasservorkommen an Land kann beispielsweise einfach bis unter das Meer reichen. Eine andere Möglichkeit rührt daher, dass es in der Vergangenheit immer wieder Phasen gab, in denen der Meeresspiegel sehr niedrig war. In der letzten Eiszeit vor 17 000 bis 20 000 Jahren war der Meeresspiegel hier in Malta beispielsweise über hundert Meter niedriger als heute. Damals war nämlich eine Menge Meerwasser in Eis gebunden. Viele Schelfgebiete, also küstennahe Gebiete, die heute vom Meer bedeckt sind, lagen damals an der freien Luft. Durch Regenwasser, Flüsse und so weiter bildeten sich dort Grundwasservorräte in bestimmten unterirdischen Gesteinsschichten – wie es auch an Land passiert. Weil der Meeresspiegel in der Warmzeit wieder anstieg, befinden sich diese Grundwasservorräte jetzt unter dem Meer.
Wie viel Süßwasser schlummert denn unter den Meeren dieser Welt?
Eiszeiten sind ja ein globales Phänomen – vor 17 000 bis 20 000 Jahren und in den Eiszeiten davor haben sehr viele Schelfgebiete trockengelegen. Wissenschaftler haben überschlagen, dass es in solchen Gebieten unter dem Meer heute hundertmal so viel Grundwasser geben könnte, wie von der Menschheit seit 1900 global verbraucht wurde. Es handelt sich also potenziell um riesige Vorkommen. Man weiß aber nicht genau, wo diese liegen. Auch die Volumenabschätzungen sind sehr ungenau. Um solche Vorkommen wirklich zu sehen, auszumessen und das Wassersystem zu verstehen, entwickeln wir jetzt Methoden.
Wie lässt sich mehr über diese Vorkommen herausfinden?
Zuerst kommt die geophysikalische Erkundung, um überhaupt festzustellen: Wo gibt es diese wasserführenden Gesteinsschichten? Wie groß sind sie und welches Süßwasservolumen kann da drin sein? Die Seismik liefert beispielsweise Informationen über die Struktur des Untergrundes, ähnlich wie ein medizinischer Ultraschall. Um aber zu unterscheiden, ob irgendein Gestein in seinen Poren mit Süß- oder mit Salzwasser gefüllt ist, setzen wir die sogenannte CSEM-Methode ein – CSEM steht für Controlled Source Electromagnetics. Anhand von CSEM-Daten lässt sich berechnen, wie groß der elektrische Widerstand im Untergrund an verschiedenen Orten ist.
Wie läuft so eine Messung ab?
Wir erzeugen eine elektromagnetische Welle als Signal auf dem Ozeanboden. Unser Sender liegt dabei in einem robusten Metallbehälter, den wir „pig“ oder „Schwein“ nennen. Hinter diesem Schwein hängt ein mehrere Hundert Meter langes Seil, an dem die Sendeantenne und die Empfänger befestigt sind. Während der CSEM-Messung schleppt das Schiff das ganze Konstrukt aus Schwein und Elektrodenschwanz am Meeresboden hinter sich her – genau wie man eine Ultraschallsonde über die Haut zieht. Das Schwein dient mit seinen 500 Kilogramm als Gewicht und als Schutz für die Sendeelektronik im Inneren.
Und wie lässt sich nun feststellen, ob Süß- oder Salzwasser im Boden steckt?
Das von uns ausgesendete Signal induziert Wellen im Untergrund. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit dieser Wellen hängt von den elektrischen Widerständen der Umgebung ab, also vom Meereswasser und vom Meeresuntergrund. Je nach Beschaffenheit des Untergrundes ändert sich die Form der induzierten Welle, die wir mit unseren Empfängern aufzeichnen. Dabei müssen wir das Signal bis auf eine zehntausendstel Sekunde genau messen. Das gewährleisten Atomuhren in den einzelnen Komponenten, die wir vorher miteinander synchronisieren. Wenn ein Gestein in seinen Poren mit Meerwasser gefüllt ist, dann hat es einen geringen elektrischen Widerstand. Ist dasselbe Gestein mit Süßwasser gefüllt, erhöht sich der elektrische Widerstand um mehr als eine Größenordnung. Und genau diese Widerstandsanomalie können wir mit der CSEM-Methode bestimmen und so eine Aussage über die Porenflüssigkeit im Gestein treffen.
Haben Sie diese Methode schon einmal erfolgreich angewendet, um Grundwasser zu finden?
Ja, vergangenes Jahr haben wir vor Neuseeland ein Wassersystem nachgewiesen: Der Schelf dort war während der letzten Eiszeit trockengelegt. Zufällig fand man ein Grundwasservorkommen, was unsere ersten Ergebnisse mit der CSEM-Methode bestätigt. Das veröffentlichen wir bald. In Malta ist noch gar nicht sicher, ob es vor der Küste überhaupt Grundwasser gibt. Deswegen sind wir jetzt hier, um das zu erforschen.
Warum suchen Sie denn ausgerechnet vor Malta nach solchen Vorkommen?
Es gibt verschiedene Hinweise, etwa die sogenannten Seeps – kleine Strukturen auf dem Meeresboden, aus denen Süßwasser austritt. Diese Seeps sind ein weit verbreitetes Phänomen im Mittelmeer, auch vor Malta. Kollegen haben den Ozeanboden hier sehr genau analysiert und halten ein Grundwasservorkommen für sehr wahrscheinlich. Große Teile des Maltesischen Schelfs lagen während der letzten Eiszeit an der Luft. Die Tonschichten, wie man sie an den Steilküsten deutlich sehen kann, könnten im Untergrund ein Grundwasserreservoir konserviert haben.
Ließen sich solche Wasserreservoire prinzipiell anzapfen?
Wir sind Wissenschaftler und für uns ist das Grundlagenforschung. Aber die potenzielle Fördermöglichkeit ist natürlich generell eine interessante Frage in vielen Gebieten mit Grundwasserproblemen. Wir müssen aber erst einmal herausfinden, wo diese Grundwasservorkommen liegen, wie sie mit dem Gesamtsystem zusammenhängen und ob es Möglichkeiten gibt, sie nachhaltig zu nutzen. Dann können wir bei Einflüssen wie dem Klimawandel entsprechend reagieren, um die Grundversorgung der Bevölkerung zu sichern. Es ist wirklich schön, wenn man Projekte mit einer sozialen Relevanz hat.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/erde/projekt-mit-sozialer-relevanz/