„Es ist sehr schwer, die Infektionsketten nachzuzeichnen“
Dirk Eidemüller
Die gegenwärtige Covid-19-Pandemie macht deutlich, wie schwer sich hochinfektiöse Krankheiten eindämmen lassen. Im Interview mit Welt der Physik spricht Dirk Brockmann – der an der Humboldt-Universität und am Robert-Koch-Institut arbeitet – über Modelle, mit denen sich die Ausbreitung von Epidemien analysieren lässt.
Welt der Physik: Wie gut lassen sich Epidemien oder sogar Pandemien im Modell nachzeichnen?
Dirk Brockmann: Wir können keine exakten Vorhersagen machen, da Ansteckungsketten immer von einzelnen Personen ausgehen und da natürlich immer der Zufall eine Rolle spielt, wer wohin reist und dabei wie viele andere Menschen ansteckt. Aber wir können die Risikogebiete und die groben Ausbreitungsmuster von Pandemien ganz gut angeben. Man kann diese Modelle so ähnlich wie Architekturmodelle betrachten. Diese spiegeln auch nie alle Details des fertigen Objekts wider. Aber man kann sie von allen Seiten betrachten, um ein besseres Verständnis des Gesamtkomplexes zu erhalten.
Wie sehen solche Simulationen im Detail aus?
Wir modellieren mithilfe von Computern insbesondere die globalen Reisenetzwerke. Dazu gehören gegenwärtig rund 4000 Flughäfen und über 51 000 Flugverbindungen zwischen den weltweiten Metropolen und kleineren Städten. Wir bestimmen daraus das „Importrisiko“. Damit können wir der Weltgesundheitsorganisation WHO oder auch nationalen Behörden Informationen über die am stärksten gefährdeten Regionen an die Hand geben.
Wie gut stimmen Ihre Modelle mit der realen Ausbreitung von Infektionskrankheiten überein?
Vor allem die Anfangsphase lässt sich gut darstellen. Solange noch keine Verhaltensänderungen und keine staatlichen Quarantänemaßnahmen stattgefunden haben, folgt die Ausbreitung von Infektionen ungefähr den Bewegungen der Menschen. Wenn erst einmal umfangreiche Maßnahmenbündel in Kraft sind, dann verlangsamt sich auch die Infektionsdynamik. So wünschenswert das natürlich ist, so schwierig ist es aber auch, Vorhersagen zu machen, wie der weitere Verlauf einer Epidemie aussehen wird. Da spielen auch kulturelle Muster eine Rolle – zum Beispiel wie rigide eine Quarantäne durchgesetzt wird oder wie gut sich die Menschen an Hygienevorschriften halten, wie etwa regelmäßiges Händewaschen.
Hat Sie die gegenwärtige Corona-Pandemie in ihrer Heftigkeit überrascht?
Es handelt sich bei dem SARS-CoV2-Virus – wie dieses Coronavirus genannt wird – um eine stark infektiöse Krankheit, die sich unüblich schnell ausbreitet. Das liegt vor allem daran, dass dieses Virus eine ungewöhnlich lange Inkubationszeit von rund zwei Wochen hat. Vor allem während der zweiten Woche ist die Virenlast nun schon so hoch, dass man dann schon ansteckend ist, obwohl man die Krankheit vielleicht noch kaum spürt. Die lange Inkubationszeit macht es sehr schwer, Infektionsketten nachzuzeichnen und die infizierten Menschen von Gesunden zu isolieren, um weitere Ansteckungen zu vermeiden. Es handelt sich bei dieser Krankheit aber auch nicht um ein völlig unerwartetes Phänomen. Die Schweinegrippe, die vor etwas über zehn Jahren um die Welt gezogen ist, war ebenfalls hochgradig ansteckend. Allerdings war die Mortalität bei der Schweinegrippe deutlich geringer.
Es sah anfangs nach einer ziemlich hohen Mortalität von über zwei Prozent aus. Welche neuen Erkenntnisse gibt es dazu?
Nach neuesten Schätzungen dürfte sie glücklicherweise deutlich darunter liegen, bei etwa 0,7 Prozent. Dazu kommt, dass vor allem ältere und geschwächte Menschen von einem tödlichen Krankheitsverlauf betroffen sind. Jüngere Menschen und vor allem Kinder entwickeln zum Teil kaum Krankheitssymptome. Das macht es andererseits aber auch schwierig, die Infizierten zu identifizieren. Sehr wichtig sind auf jeden Fall die persönlichen Hygienemaßnahmen wie gründliches Händewaschen, Vermeiden von Menschenmengen und ein Abstand von ein bis zwei Metern zu Kranken. Gesichtsmasken können auch ein wenig helfen, sind aber vor allem für bereits Infizierte sinnvoll, damit diese nicht ihre Mitmenschen anstecken.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/es-ist-sehr-schwer-die-infektionsketten-nachzuzeichnen/