„Magnetit spielt die entscheidende Rolle“

Dirk Eidemüller

Das Bild zeigt eine Gruppe von Lachsen, die entgegen der Flussrichtung einen kleinen Wasserfall hochspringen.

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Nicht nur Zugvögel, sondern auch Schildkröten oder Lachse finden über Tausende von Kilometern sicher zu ihrem Zielort. Diese Fähigkeit verdanken die Tiere unter anderem ihrem Magnetsinn, mit dem sie sich am irdischen Magnetfeld orientieren können. Eine interdisziplinäre Kollaboration aus Biologen und Physikern hat nun gezeigt, dass ein Mineral in den Zellen der Tiere dafür verantwortlich ist. Wie die Forscher das herausgefunden haben und wie sich der Orientierungssinn der Tiere unterscheidet, berichtet Uwe Hartmann von der Universität des Saarlandes im Interview mit Welt der Physik.

Welt der Physik: Wie ist es möglich, dass sich Tiere am Magnetfeld der Erde orientieren?

Porträt des Wissenschaftlers Uwe Hartmann

Uwe Hartmann

Uwe Hartmann: Es wurde schon lange gemutmaßt, dass magnetische Partikel in den Zellen der Tiere für den Orientierungssinn verantwortlich sind. Vor allem das Mineral Magnetit gilt schon seit Jahrzehnten als interessanter Kandidat, der den Magnetsinn der Tiere ermöglicht. Nanokristalle aus Magnetit finden sich in unterschiedlichsten Lebensformen, von einfachen Bakterien über Insekten und Fische bis hin zu Säugetieren. Wie genau dieses Mineral innerhalb von Sinneszellen schließlich zu einem Nervenimpuls führt, der dem Tier mitteilt: „Hier ist Norden“, ist allerdings noch nicht geklärt. Dazu wird derzeit intensiv geforscht. Meine Kollegen und ich haben aber jetzt gezeigt, dass in der Tat Magnetit die entscheidende Rolle spielt.

Wie haben Sie das herausgefunden?

Wir haben mit einem interdisziplinären Team gearbeitet, dem ebenso Forscher aus der Sinnesphysiologie, der Genetik und der Evolutionsbiologie angehören wie Geo- und Nanophysiker. Schon seit Längerem erforschen wir den Magnetsinn von Lachsen, der im Riechorgan der Tiere lokalisiert ist. Es ist uns gelungen, zunächst diejenigen Zellen im Gewebe mit besonders hohem Anteil an Magnetit von den anderen zu separieren. Die Magnetitkristalle in diesen Zellen haben wir dann gezielt mit hochempfindlichen physikalischen Verfahren analysiert – unter anderem mithilfe von ferromagnetischer Resonanz, Rasterkraft- und Magnetkraftmikroskopie.

Was hat diese Analyse ergeben?

Wir haben herausgefunden, dass Magnetit in Form von Nanokristallen vorliegt, die bei Lachsen rund 30 Nanometer groß sind. Bei anderen Tierarten können sie auch etwas kleiner sein und bei manchen Bakterien sind sie nur rund zehn Nanometer groß. Unsere Analyse hat gezeigt, dass die Kristalle bei Lachsen interessanterweise in anderer Form vorliegen als etwa bei sogenannten magnetotaktischen Bakterien. Bei Letzteren sind sie entlang einer Kette angeordnet und ermöglichen es den Bakterien dadurch, sich etwa in trübem Wasser zu orientieren und Schutz im Schlamm zu suchen, wenn sie aufgewirbelt werden. Dagegen sind die Magnetitkristalle bei Lachsen in weintraubenförmigen Clustern angeordnet. Warum das so ist, wissen wir noch nicht. Es handelt sich auch nicht um gewöhnliches Magnetit, zu dessen Erzeugung hohe Temperaturen von einigen hundert Grad Celsius notwendig sind. Stattdessen sind diese Partikel mit Proteinen durchsetzt. Diese Kristalle entstehen also durch einen besonderen Typ von Biomineralisation, der bei Umgebungstemperatur abläuft.

Gibt es eine genetische Beziehung zwischen den verschiedenen Spezies, die sich am Magnetfeld der Erde orientieren?

Die genetische Analyse hat überraschende evolutionäre Zusammenhänge zwischen den Organismen aufdecken können. Denn alle Lebewesen, die solche Magnetit-Nanokristalle nutzen – von Archaeen und Bakterien bis hin zu Säugetieren –, besitzen dieselben Gene. Nun zählen Archaeen und Bakterien zu den Prokaryoten, haben also keinen Zellkern. Alle höheren Lebewesen sind allerdings Eukaryoten und haben einen Zellkern. Vermutlich haben frühe Eukaryoten magnetisch empfindliche Prokaryoten oder zumindest deren Gene im Lauf der Evolution in sich aufgenommen. Der Magnetsinn von Lachsen und anderen höheren Tieren hat sich also nicht von selbst genetisch unabhängig entwickelt, sondern die Gene zur Erzeugung von Magnetit-Nanokristallen sind irgendwann vor mehr als einer Milliarde Jahren in Prokaryoten entstanden und wurden dann von Eukaryoten aufgenommen.

Und wie nutzen die Tiere die Magnetitkristalle zur Navigation?

Wie das Ganze sinnesphysiologisch im Innern von Zellen funktioniert, ist noch nicht ganz klar. Denn die Kräfte, die die Magnetit-Nanocluster im Erdmagnetfeld erfahren, sind winzig klein und nur schwer von thermischem Rauschen zu unterscheiden. Eine spannende These ist, dass die magnetischen Nanokristalle Ionenkanäle in der Zellmembran aktivieren können und dadurch Nervensignale entstehen. Man muss dazu aber auch sagen, dass es nicht einfach nur der Magnetsinn ist, der komplexen Tierarten die Orientierung über Tausende von Kilometern erlaubt, so dass etwa Lachse sicher zu ihren Laichgründen am Oberlauf eines Flusses finden. Hier kommt sicher auch eine besondere Gedächtnisfähigkeit ins Spiel, die ebenfalls noch erforscht werden will.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/magnetsinn-magnetit-spielt-die-entscheidende-rolle/