Teufelstreppe beschreibt Ausbreitung von Krankheiten
Magdalena Kersting
Göttingen – Infektiöse Krankheiten verbreiten sich schlagartig und kommen scheinbar aus dem Nichts. Forscher interessieren sich deshalb ganz besonders für den Zeitpunkt, der den Übergang zwischen einer harmlosen Grippewelle und einer plötzlichen Epidemie ausmacht. Krankheitsverläufe als Wachstumsprozesse in Netzwerken zu beschreiben, ist dazu ein erfolgreicher Ansatz. Unklar war bisher allerdings, warum Netzwerke, die langsam wachsen, auch explosionsartige Wachstumsschübe – zum Beispiel den Ausbruch einer Grippeepidemie – zulassen. Wissenschafter haben nun das Modell der sogenannten Teufelstreppe vorgeschlagen, um den scheinbaren Widerspruch zwischen allmählicher und sprunghafter Verbreitung zu lösen. Ihre Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift „Physical Review X“ veröffentlicht.
Nicht nur Krankheiten, auch soziale Netzwerke oder die Signalverarbeitung im Gehirn folgen den Regeln der Netzwerktheorie. Gemeinsam ist allen das Phänomen, dass Personen, Computer oder Nervenzellen miteinander kommunizieren und durch diese Kommunikation ein Netzwerk entsteht. Das Knüpfen von Verbindungen führt zu Gruppierungen und neuen Strukturen innerhalb des großen Netzwerks und ändert zwangsläufig die Dynamik des Systems. Bisherige Modelle haben diese Systemänderungen, die auch Phasenübergänge genannt werden, als stetige Prozesse beschrieben. Das scheint aber den in der Natur beobachteten unvorhersehbaren Wachstumssprüngen zu widersprechen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation und der Universität Göttingen hatten die Idee, die Ausbildung von Verbindungen in einem Netzwerk nicht mehr rein zufällig zu modellieren, vielmehr konkurrieren die möglichen Verknüpfungen um Knotenpunkte des Netzes. Ein infizierter Mensch, der eine Krankheit beispielsweise auf einer Reise verbreitet, hat schließlich auch ein Ziel und bewegt sich nicht willkürlich. In dem Modell der Forscher werden Verbindungen zwischen gleichartigen Gruppen bevorzugt und als Maß für die Gleichheit verschiedener Cluster wird deren Größe gewählt. Zwei gleichartige Cluster könnten zum Beispiel zwei Städte vergleichbarer Größe sein oder – um bei dem Beispiel des Reisenden zu bleiben – zwei Flughäfen.
„Anders als bisher angenommen kann in solchen Netzwerken die Expansion auch abrupt sein“, beschreibt Jan Nagler vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation die neu gewonnenen Resultate. „Kontinuierliche Phasenübergänge können sich in Wirklichkeit aus winzigen Sprüngen zusammensetzen“. Diese Beobachtung wird durch eine mathematische Funktion – die Teufelstreppe – gut beschrieben. Die Teufelstreppe ist eine stetige Funktion, die bis auf vereinzelte Sprungstellen konstant ist. Jeder Sprung entspricht dabei einem diskontinuierlichen Phasenübergang. Die Idee, Wachstumsprozesse durch die Teufelstreppe zu beschreiben, vereint somit die scheinbar widersprüchlichen Eigenschaften des gleichmäßigen und sprungartigen Wachstums und stellt ein Modell dar, dass die Theorie von Netzwerken und damit auch die Vorhersagbarkeit von Epidemien verbessern kann.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/nachrichten/2012/teufelstreppe-beschreibt-ausbreitung-von-krankheiten/