Vorhersage fast unberechenbar
Fallzahlen sind der Schlüssel für alle Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 – vom Shutdown bis hin zu Lockerungen. In Deutschland sammelt das Robert-Koch-Institut in Berlin die Daten zum aktuellen Stand der Covid-19-Pandemie. Doch wegen der mehrtägigen Inkubationszeit und der Dauer der Meldeprozesse liefern diese Zahlen immer nur einen Blick in die Vergangenheit. Mithilfe von statistischen Prognosen lässt sich das Infektionsgeschehen dagegen zeitnaher untersuchen. Physiker haben die Qualität solcher Prognosen nun im Detail überprüft. Wie sie in der Fachzeitschrift „Chaos“ berichten, schwanken die Fallzahlen ihrer Prognosen sehr stark.
Um den Verlauf der Corona-Fallzahlen besser abzuschätzen, entwickelte Davide Faranda von der Universität Paris-Saclay gemeinsam mit seinen Kollegen zunächst eine statistische Methode. Dazu teilten sie die Gesamtbevölkerung in vier Gruppen: Die größte Gruppe vereint die Menschen, die anfällig für eine Corona-Infektion sind. Zur zweiten Gruppe zählen die Infizierten, die keine Symptome zeigen. Die dritte umfasst die aktuell Infizierten mit Krankheitssymptomen und die vierte Gruppe besteht aus genesenen und verstorbenen Covid-19-Patienten, die andere Personen nicht mehr anstecken können.
Mithilfe ihres Modells untersuchten Faranda und seine Kollegen nun, unter welchen Umständen ein Wechsel zwischen diesen Gruppen stattfindet. Dabei spielen Parameter wie Infektionsrate, Inkubationszeit und der Krankheitsverlauf eine wichtige Rolle. Zudem benötigten die Forscher als Startwert für ihre Berechnungen die aktuellen Fallzahlen aller vier Gruppen einer Region. „Doch wegen der Unsicherheiten sowohl bei den Parametern als auch bei den Fallzahlen, liefern die Prognosen nur Daten mit großen Abweichungen“, sagt Faranda. So wirken sich etwa Dunkelziffern bei den Infizierten extrem stark aus. Sind beispielsweise 20 Prozent mehr Menschen infiziert, als die offiziellen Zahlen angeben, schwankt die Zahl der zu erwartenden Infizierten zwischen einigen Tausend und einigen Millionen Menschen.
Mit diesem Ergebnis zeigt die Studie, dass sich die Entwicklung der Corona-Pandemie selbst mit statistischen Methoden nur schwer vorhersagen lässt. Besonders in der Anfangsphase eines Ausbruchs seien laut Faranda die Unsicherheiten sehr groß. Bessere Prognosen erwarten die Forscher für spätere Phasen der Pandemie und für einzelne Regionen. Auch neue und sicherere Erkenntnisse über das Infektionsrisiko und die Inkubationszeit könnten die Qualität von solchen Prognosen zukünftig erhöhen. Bis dahin sind vor allem die Ergebnisse möglichst vieler Tests nötig, um eine zweite Infektionswelle so früh wie möglich zu erkennen.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/nachrichten/2020/vorhersage-fast-unberechenbar/