Wie Fische einen Schwarm bilden
Ein Schwarm bietet Fischen viele Vorteile. So verringert sich beispielsweise das individuelle Risiko, von anderen Raubfischen gefressen zu werden. Zudem steigen die Chancen, einen passenden Paarungspartner zu finden. Wie sich einzelne Fische in einem Schwarm verhalten, haben sich Physiker nun genau angeschaut – und kommen zu einem überraschenden Ergebnis. Demnach passen sich einzelne Fische nicht, wie bisher angenommen, der kollektiven Bewegung des gesamten Schwarms an, sondern kopieren nur das Verhalten eines direkt benachbarten Artgenossen. Die neue Studie stellte das Team nun in der Fachzeitschrift „Nature Physics“ vor.
In ihren Experimenten setzten Jitesh Jhawar vom Indian Institute of Science in Bangalore und seine Kollegen zwischen 15 und 60 Buntbarsche in einen großen Wassertank und filmten das Schwimmverhalten der Tiere. Dabei interessierte die Forscher vor allem, wann und wie oft sich einzelne Exemplare anders bewegten als die restlichen Fische und welchen Effekt das auf den gesamten Schwarm hatte. Eine statistische Analyse des Videomaterials ergab, dass sich ein abweichendes Verhalten einzelner Fische in kleinen Schwärmen stark auswirkte. Je mehr Tiere sich im Becken befanden, desto geringer wurde der Einfluss des individuellen Verhaltes. Allerdings koordinierten die Fische in der kleinen Gruppe ihre Bewegungen stärker als die Artgenossen in einer großen Gruppe, berichten die Forscher. Infolgedessen wirkten kleine Schwärme letztlich sogar geordneter als große. Individuelles Verhalten scheint demnach einen konstruktiven Einfluss auf die Schwarmbildung zu haben, folgern die Wissenschaftler um Jhawar.
Diese Hypothese überprüften die Forscher mithilfe von Computermodellen, in denen sie das Schwimmverhalten der Fische simulierten. Tatsächlich ließ sich die Schwarmbildung darin nicht nachvollziehen, wenn man zufällige Abweichungen in der Bewegung einzelner Fische komplett ignorierte. Zudem ergaben die Simulationen, dass sich Fische höchstens am Verhalten eines einzigen, direkt benachbarten Artgenossen orientieren und dessen Bewegungsrichtung übernehmen. Modelle, in denen sich Fische an das Schwimmverhalten des ganzen Schwarms anpassten, zeigten dagegen keine Übereinstimmung mit den Messungen im Wassertank.
Jhawar und seine Kollegen schlagen vor, auch bei anderen schwarmbildenden Lebewesen – wie etwa Vögeln oder Heuschrecken – genauer zu untersuchen, wie sich ein abweichendes Verhalten einzelner Mitglieder auswirkt. Die Summe solcher zufälligen Abweichungen wird auch als Rauschen bezeichnet. „In den meisten Experimenten will man ein solches Rauschen, also Fluktuationen der Daten, unterdrücken“, erläutert Jhawar. „Doch in unserer Studie hilft Rauschen, das Verhalten der Fische zu verstehen.“ Physiker sprechen dabei auch vom Effekt der stochastischen Resonanz, die – auf den ersten Blick widersprüchlich – eine Messung nicht stört, sondern sogar konstruktiv beeinflusst. „Ein besseres Verständnis des Rauschens könnte also von grundlegender Bedeutung sein, um biologische Systeme zu erklären“, so Jhawar.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/nachrichten/2020/wie-fische-einen-schwarm-bilden/