Die Schale von Flügelschnecken
Zahlreiche Muscheln und Schnecken schützen sich mit einer verblüffend stabilen Schale. Verantwortlich dafür sind die vielen Schichten, aus denen das Gehäuse besteht, sowie deren mikroskopisch feine Struktur. Doch wie genau die Tiere ihre oft elegant geschwungenen Hüllen bilden, ist im Detail noch nicht geklärt. Eine Forschungsgruppe untersuchte nun Flügelschnecken, die im Meer leben und fand in den Schalen Hinweise auf spiralförmige Flüssigkristalle. Diese könnten den Wachstumsprozess der Schalen unterstützen, berichten die Forscher in der Fachzeitschrift „Physical Review Materials“.
Flüssigkristalle haben spannende Eigenschaften: Sie verhalten sich einerseits wie eine Flüssigkeit, andererseits sind ihre Moleküle ähnlich wie in Kristallen streng geordnet. Synthetische Flüssigkristalle werden beispielsweise in elektronischen Bildschirmen eingesetzt. Hinweise auf ähnliche Flüssigkristalle fanden Julyan Cartwright und seine Kollegen von der Universität Granada auch in der Natur. Dazu analysierten sie Schalen von Flügelschnecken, die wegen ihrer eleganten geformten Hülle auch Seeschmetterlinge genannt werden.
Mit einem Rasterelektronenmikroskop betrachteten die Forscher die mikroskopisch feine Struktur der Schalen und richteten ihren Fokus auf Bruchstellen, in denen der mehrschichtige Aufbau des Materials sichtbar wurde. Bei zwei Arten von Flügelschnecken namens Creseis acicula und Cuvierina columnella stießen die Forscher auf eine besonders ausgeprägte Spiralstruktur. Gerade dieser Aufbau wird schon seit Längerem für die hohe Stabilität der Schalen verantwortlich gemacht. Vor allem verhindern diese Mikrostrukturen, dass sich Risse durch die gesamte Schale ausbreiten.
Die Schalen der Flügelschnecken wachsen, indem sich stäbchenförmige Bauteile aus Proteinen und anderen natürlichen Molekülen Schicht für Schicht ablagern. Doch warum sie spiralförmige Strukturen bilden, war bislang unklar. Wegen der strukturellen Ähnlichkeit vermuten Cartwright und seine Kollegen, dass der Grund spiralförmige Flüssigkristalle sind, die quasi ein vorgeformtes Gerüst bilden. Einmal an die wachsende Schale angedockt, ordnet sich das flüssige und kristalline Material in spiralförmigen Strukturen an. Danach könnte ein Verkalkungsprozess einsetzen, der durch den Einbau von Kalziumkarbonat die Spiralstruktur stabilisiert. Um die Vermutung der Forscher zu überprüfen, ist allerdings noch mehr Arbeit mit weiteren Lebewesen notwendig, die solche faszinierenden Materialien herstellen können.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/nachrichten/2022/mikrostrukturen-die-schale-von-fluegelschnecken/