Dynamik großer Menschenmassen
Ob bei Festivals, Paraden oder Demonstrationen – immer wieder versammeln sich große Menschenmengen auf engen Plätzen. So auch jedes Jahr ab dem 6. Juli, wenn tausende Menschen die Sanfermines in der spanischen Stadt Pamplona feiern. Wie sich dort die dicht gedrängten Menschenmassen bewegen, untersuchten nun Forscher mithilfe von Videoaufnahmen des Festes. In der Fachzeitschrift „Nature“ berichten sie, dass bei den Sanfermines charakteristische, regelmäßig wiederkehrende Drehbewegungen großer Gruppen auftreten – ein Phänomen, das als Warnsignal dienen könnte, um tödliche Unfälle in Menschenmengen zu verhindern.
Mehr als 5000 Menschen drängen sich zum Auftakt der Sanfermines auf der Plaza Consistorial, einem 50 Meter langen und 20 Meter breitem Platz. Während einer Stunde vor dem offiziellen Beginn des Festes strömen immer mehr Menschen auf den Platz und drängen sich dicht aneinander. Wie eng, das haben François Gu von der École normale supérieure de Lyon und seine Kollegen von der Unversidad de Navarra in Pamplona untersucht: In vier Jahren – 2019, 2022, 2023, 2024 – filmten sie die Menschenmassen von zwei Beobachtungspunkten oberhalb des Platzes. Unterstützt durch automatisierte Bilderkennung analysierten sie die Bewegungen der Menschen.
Besondere Dynamik ab vier Menschen pro Quadratmeter
Während die Teilnehmenden zunächst noch einen möglichst großen Abstand zueinander hielten und sich nur langsam bewegten, drängten sie sich laut den Beobachtungen zunächst mit zwei, etwas später mit bis zu sechs Menschen pro Quadratmeter dicht aneinander. Diese Fläche entspricht etwa der einer Duschkabine. Doch ab vier Menschen pro Quadratmetern änderte sich das Verhalten schlagartig – ohne äußeren Impuls. Innerhalb einzelner Gruppen von mehreren hundert Menschen bewegten sich diese plötzlich schneller und teilweise drängten bis zu neun Menschen auf einem Quadratmeter. Ab dieser Schwelle entwickelte sich eine überraschende Dynamik: Die Gruppen bewegten sich über einige Meter im Kreis – teils um einen Viertel oder einen halben, teils auch um einen ganzen Kreis. Diese Rotationen wiederholten sich regelmäßig und dauerten immer ungefähr 18 Sekunden.
Ihre Beobachtungen verglichen Gu und seine Kollegen mit Videoaufnahmen der Love Parade 2010 in Duisburg, bei der 21 Menschen ums Leben gekommen waren. Auch diese Aufnahmen zeigten die periodisch wiederkehrenden Drehbewegungen größerer Gruppen – und zwar ab acht Personen pro Quadratmeter. Dabei bewegten sich Massen von rund zehn Tonnen plötzlich über einige Meter. Auf einzelne, beispielsweise gestolperte Menschen wirkten so große und tödlich erdrückende Kräfte.
Anhand der Videoanalysen entwickelten die Forscher ein physikalisches Modell für dicht gedrängte Menschenmengen. Es zeigt, dass es kaum eine Rolle spielt, wie sich individuelle Personen verhalten. Vielmehr ändert sich die Dynamik, sobald sich Personen sehr dicht aneinander drängen. Gu und sein Team sind optimistisch: Diese Analysen können helfen, tödliche Unfälle wie in Duisburg besser zu verstehen und so aufkommende Gefahren frühzeitig zu erkennen.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/nachrichten/2025/bewegung-dynamik-grosser-menschenmassen/