Warum mit schweren Ionen schießen?
Die Wechselwirkung der Ionen mit Gewebe sorgt für den entscheidenden Vorteil gegenüber herkömmlicher Bestrahlungstechnik. Lesen Sie über die physikalischen Grundlagen und wie sich diese Therapieform entwickelte.
Physikalische Grundlagen
Der größte Vorteil von Ionenstrahlen, verglichen mit der konventionell genutzten elektromagnetischen Strahlung (Röntgenstrahlen, Gamma-Strahlung, hochenergetische Photonen), ist der günstigere Verlauf der Strahlendosis mit zunehmender Eindringtiefe (Tiefendosis-Profil, siehe Grafik).
Ionen wechselwirken aufgrund ihrer Ladung mit den Elektronen des Gewebes, das sie durchfliegen. Bei hoher Anfangsgeschwindigkeit ist diese Wechselwirkung klein und die Ionen werden nur wenig gebremst. Damit ist die abgegebene Dosis im so genannten Eingangskanal der Bestrahlung klein. Mit wachsender Eindringtiefe werden die Ionen langsamer und die lokale Wechselwirkungszeit wird immer größer und damit auch die abgegebene Dosis. Deshalb steigt am Ende der Reichweite der Ionen die Dosis bis zu einem hohem Wert, dem so genannten Bragg-Maximum, steil an, um danach fast auf Null abzufallen, wenn das Ion zur Ruhe kommt. Dies ergibt insgesamt eine für die Therapie äußerst günstige Dosis-Verteilung mit niedriger Dosis am Anfang im gesunden Normalgewebe und großer Dosis am Ende der Teilchenreichweite im Tumorvolumen.
Derzeit werden in der Therapie die leichten Wasserstoffionen (Protonen) oder die schwereren Kohlenstoffionen eingesetzt. Sie werden in einer Ionenquelle erzeugt und im Beschleuniger auf hohe Geschwindigkeiten bis zu 50 Prozent der Lichtgeschwindigkeit gebracht, um die nötige Eindringtiefe im Patienten zu erreichen. Ein typischer Therapiestrahl besteht aus einer bis zehn Millionen Kohlenstoffionen pro Sekunde oder 100-mal so vielen Protonen.
Herkömmliche Photonenbestrahlung
Bei der konventionellen Bestrahlungstherapie kommt statt der Strahlen aus ionisierten Teilchen elektromagnetische Strahlung zum Einsatz, also Röntgenstrahlen, Gamma-Strahlung oder hochenergetische Photonen – die Quantenform elektromagnetischer Wellen.
Im Gegensatz zu den Ionen fällt die Strahlungsdosis für die dünn ionisierenden Photonen nach dem Eindringen in den Körper schnell ab. Nach einem anfänglichen Maximum, das für die Hochenergie-Photonen einige Zentimeter unter der Haut liegt, fällt die Kurve exponentiell ab. Deshalb ist bei einem tiefliegenden Tumor die Dosis vor dem Tumor größer als im Zielvolumen. Mit einem Trick gelingt es, dennoch eine hohe Tumordosis zu erreichen, ohne das Normalgewebe nachhaltig zu schädigen: Man benutzt viele Eingangskanäle und zielt aus verschiedenen Richtungen auf den Tumor (Kreuzfeuer-Technik). Damit wird die unerwünschte, integrale Dosis zwar nicht reduziert, aber über ein größeres Volumen verteilt.
In der modernen intensitätsmodulierten Radiotherapie (Intensity Modulated Radio Therapy, IMRT) wird für jeden Eingangskanal, bei sechs bis zehn Kanälen insgesamt, mit einem speziellen Kollimator die äußere Kontur des Strahls und seine Intensität passend verändert: So bekommt das Zielvolumen, das Tumorgewebe, nach dem Kreuzfeuer eine möglichst zielkonforme Bestrahlung mit homogener Dosis. Dieses Verfahren produziert sehr gute Dosis-Verteilungen im Tumor, allerdings auf Kosten einer relativ hohen Dosisbelastung über ein großes Volumen des gesunden Gewebes. Diese Belastung lässt sich nur mit Ionenstrahlen dramatisch verringern.
Erkenntnis und Entwicklung
Die deutlichen Vorteile der Dosis-Verteilung von Ionen gegenüber konventioneller Bestrahlung wurden schon 1946 von Robert R. Wilson erkannt, als er in Berkeley (USA) am damals neuen Zyklotron die Tiefendosis-Verteilung von Protonen- und Kohlenstoffionen gemessen hatte. Es dauerte zehn Jahre von seiner ersten Publikation über die Vorteile dieser Strahlen für die Tumortherapie bis zur Anwendung am ersten Patienten. In diesen Jahren wurden am Lawrence Berkeley National Laboratory (LBL) und am Massachussetts General Hospital in Boston in Anlehnung an die konventionelle Therapie einfache technische Verfahren zur Patientenbestrahlung entwickelt, um den scharfen Primär-Strahl in der Breite und in der Tiefe dem Zielvolumen anzupassen. Mit Streufolien wird der Strahl seitlich aufgeweitet und mit variablen Kammfiltern in der Reichweite moduliert. Dadurch erzielt man eine höhere Dosis im Zielvolumen bei gleicher oder geringerer Belastung des Normalgewebes verglichen mit der konventionellen Therapie, ein damals entscheidender Schritt für eine bessere Therapie tiefliegender Tumoren.
Ionen
Ionen sind positiv geladene Atome, also Atome, denen ein oder mehrere negative Elektronen entrissen wurden. Im täglichen Leben finden wir Ionen zum Beispiel in den Neonröhren, in welchen einige Elektronen durch ein Feld beschleunigt werden und in Stößen weitere Elektronen-Ionen-Paare erzeugen. Bei diesem Prozess entsteht UV-Strahlung, die beim Auftreffen auf einen Leuchtstoff Licht produziert.
Weiterführende Literatur
Amaldi U., Kraft G.: Recent applications of Synchrotrons in cancer therapy with Carbon Ions. europhysics news,. Vol. 36, No. 4, pp.114-118, 2005
Schulz-Ertner D. et al.: Results of Carbon Ion Radiotherapy in 152 Patients. Int. J. Radiation Onc. Biol. Phys., Vol. 58, No. 2, pp. 631-640, 2004
Nikoghosyan A., Schulz-Ertner D., et al.: Evaluation of Therapeutic Potential of Heavy Ion Therapy for Patients with locally advanced Prostate Cancer. Int. J. Radiation Onc. Biol. Phys., Vol. 58, No. 1, pp. 89-97, 2004
Kraft G.: Tumor Therapy with Heavy Charged Particles. Progress in Part. and Nucl. Phys., Vol. 45, Suppl. 2, pp. S473-S544, 2000
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/leben/tumortherapie/warum-schwerionen/