Neutronenbildgebungsverfahren für die Archäologie
Franziska Konitzer
An der Neutronenquelle FRM II in Garching durchleuchten Physiker archäologische und paläontologische Fundstücke mit Neutronen. Burkhard Schillinger von der TU München schilderte in unserem Podcast, wie er und seine Kollegen dabei teils erstaunliche Entdeckungen machen.
Fundstücke aus der Archäologie und der Paläontologie geben ihre Geheimnisse oft nur mithilfe moderner Verfahren aus der Physik preis. Die Forschungsneutronenquelle Heinz Maier-Leibniz in Garching, kurz FRM II, bietet eine Möglichkeit dafür. Normalerweise werden dort winzige Nanostrukturen oder die Bewegung von Atomen erforscht. Doch darüber hinaus können die Physiker am FRM II auch archäologische Funde mithilfe von Neutronen durchleuchten.
Burkhard Schillinger: „Zum Beispiel haben wir ein Schwert von der Bayerischen Staatssammlung bekommen. Das war relativ gut konserviert, da es von einem Ausgrabungsort in einem sumpfigen Gelände stammt. Das Schwert ist korrodiert und steckt in einer Scheide. Man kann das Schwert mit Röntgenstrahlen nur mühsam durchdringen, weil das Metall die Röntgenstrahlen sehr stark schwächt. Wir haben von diesem Schwert Tomografien angefertigt und konnten in der Schwertscheide noch Reste von Leder finden und auch ein kleines Holzstück, das wohl verhindern sollte, dass das Schwert in der Scheide klappert.“
Ob es sich nun um archäologisch interessante Kisten, Statuen oder Schwertscheiden handelt: Die zerstörungsfreie Erforschung ist wichtig für die Archäologie. Schließlich wollen die Wissenschaftler die Stücke in aller Regel nicht auseinandernehmen, um zu sehen, was sich darin befindet. Am FRM II setzen die Forscher deshalb Neutronen ein, um Gegenstände zu durchleuchten. Diese elektrisch neutralen Teilchen bilden zusammen mit Protonen die Bausteine von Atomkernen und kommen eigentlich nicht frei vor. Man muss erst Arbeit aufwenden, um sie zu isolieren.
„In einem Kernreaktor wie hier bei uns geschieht das durch eine Kernreaktion. Das ist wie ein winziges Atomkraftwerk: Wir haben einen sehr kleinen Kern in dem Reaktor – der ist etwa so groß wie zwei Papierkörbe. Und er besitzt nicht einmal ein Hundertstel der Leistung von einem Atomkraftwerk und wird auch nur 55 Grad warm. Aber wir erzeugen viele freie Neutronen, die durch Wasser abgebremst werden. Sie können Aluminium durchdringen und fliegen dann durch ein evakuiertes Strahlrohr zu den Experimenten.“
Kamera für Neutronen
Für ihre Experimente benötigen Schillinger und seine Kollegen eine ganz bestimmte Art von Neutronen.
„Wir verwenden langsame Neutronen, sogenannte kalte Neutronen. Das sind die Neutronen, die im Reaktorbecken durch Stöße mit dem Wasser abgebremst werden und im Mittel die gleiche kinetische Energie haben wie das Wasser im Becken. Das sind ungefähr 25 Millielektronenvolt.“
Anschließend werden die Neutronen zu den jeweiligen Instrumenten geleitet. Für das Bildgebungsverfahren verwenden die Forscher das Instrument ANTARES – eine Art riesige Kamera, die mit Neutronen statt mit Licht funktioniert.
„ANTARES ist im jetzigen Zustand etwas über zwanzig Meter lang. Wir haben verschiedene Kollimatoren – oder wenn Sie so wollen: Lochgrößenblenden –, die wir auswählen können, um entweder eine hohe Intensität oder eine hohe Bildauflösung zu erzielen. Am einen Ende befindet sich die Lochblende und zwölf bis zwanzig Meter entfernt werden die Probe und der Detektor hingestellt.“
Archäologen setzen bislang meistens Röntgenstrahlen ein, um die Beschaffenheit und das Innere ihrer Proben zu untersuchen – ähnlich den Röntgenaufnahmen, die ein Arzt anfertigt. Im Gegensatz zu Neutronen handelt es sich bei Röntgenstrahlung um hochenergetische elektromagnetische Strahlung. Trifft diese auf Materie, wechselwirkt sie vor allem mit den Elektronen in der Hülle von Atomen. Bei Neutronen ist das nicht der Fall.
Ein aufregender Fund
„Wichtig ist, dass Neutronen fast genau das Gegenteil von dem zeigen, was Röntgenstrahlen zeigen – Neutronen wechselwirken eben nicht mit der Elektronenhülle. Röntgenstrahlen werden umso stärker geschwächt, je höher die Kernladungszahl im Periodensystem ist. Neutronen werden dagegen stark von Wasserstoff geschwächt, denn sie stoßen an ihm, da er genauso schwer wie ein Neutron ist. Neutronen können auch absorbiert werden, aber die meisten Metalle durchdringen sie. Also sehen wir viele leichte Elemente, wie eben Wasserstoff. Wir sehen den Wasserstoff sogar hinter zwanzig Zentimeter Aluminium.“
Vor allem organische Materialien enthalten Wasserstoff: Neutronen können daher Holz, Leder oder Knochen hinter dicken Metallschichten sichtbar machen. Kürzlich konnten die Physiker aus Garching ein ganz besonderes Gestein aus Südafrika mit ihren Neutronen beschießen. Das sogenannte Breccia aus dem Großen Afrikanischen Grabenbruch ist ein sehr altes Gestein, das oft Einschlüsse enthält, die Hunderttausende von Jahren alt sind.
„Manchmal ragt etwas heraus, meistens sieht man von außen aber nichts. Momentan ist der klassische Prozess, dass man das entweder mit der Schleifmaschine Stück für Stück freilegt oder aber mit verdünnter Essigsäure den Kalkstein löst. Allerdings dauert das für einen Block Wochen. Deswegen ist es sehr wichtig, solche Proben zu durchleuchten und herauszufinden, ob überhaupt etwas drin ist und ob es sich lohnt, sie zu präparieren.“
Bei einer solchen Untersuchung machten die Forscher einen aufregenden Fund.
„Wir haben mehrere Brocken zum Durchleuchten bekommen. Manche enthalten einfach viele Knochensplitter, die findet man zusammen mit Steinen und Kieseln. Das ist dann nicht so aufregend. Aber wir haben einen Brocken bekommen, aus dem nur ein kleines Stück Knochen herausragte und keiner wusste, ob etwas drin ist. Und zu unserer großen Überraschung haben wir da drin ein komplettes Raubtiergebiss gefunden, beziehungsweise den Unterkiefer mit noch einem Fangzahn.“
Bislang wurde mit ANTARES vor allem Materialforschung betrieben: Die Neutronen können beispielsweise winzige Defekte oder Hohlräume aufspüren. In letzter Zeit ist der Einsatz des Bildgebungsverfahrens mithilfe der neutralen Teilchen aber auch für Archäologen interessant geworden. Zwar ist der Einsatz der Neutronenquelle einigermaßen aufwändig, vor allem im Vergleich zur Röntgenstrahlung. Allerdings bieten die Neutronen einzigartige Einblicke in archäologische Artefakte und stellen daher eine gute Ergänzung zu bestehenden Methoden dar.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/analyse-von-materialien/neutronen-als-sonde/neutronenbildgebungsverfahren-fuer-die-archaeologie/