Mikrolamellen reagieren auf äußere Reize

Schaltbare Werkstoffe regulieren Wärme, Druck oder Säuregrad selbstständig - Anwendung für medizinische Therapien, Gebäudeautomation und Laboranalysen denkbar.

Jan Oliver Löfken

Cambridge (USA) – Wie lebende Organismen können auch fein strukturierte Werkstoffe völlig selbstständig auf Umwelteinflüsse reagieren. Einen ersten Prototyp für diese neue Materialklasse haben Wissenschaftler nun entwickelt. Dieser benötigt im Unterschied zu herkömmlichen Sensoren keine Stromversorgung und kann für eine autarke Regulierung von Temperatur, Säuregrad oder Luftfeuchtigkeit genutzt werden. Wie die Forscher in der Zeitschrift „Nature“ berichten, sehen sie viele mögliche Anwendungen von Laboranalysen bis zur automatischen Steuerung von Heizung, Klimaanlagen und Lüftung in Gebäuden.

Werkstoff mit MikrolamellenMikrolamellen

Video: Neuer Werkstoff mit Mikrolamellen

„Ganz gleich ob pH-Wert, Temperatur, Feuchtigkeit oder Druck – die Module können so konstruiert werden, dass sie eine externe Stimulation direkt erkennen und dann modulieren“, sagt Joanna Aizenberg von der Harvard University im US-amerikanischen Cambridge. Ihr erstes Modell für ein autarkes Schaltmaterial besteht aus zwei funktionellen Schichten. Für die untere wählten die Forscher ein Temperatur empfindliches Hydrogel, in das sie ein Areal aus Mikrometer kleinen Lamellen aus einem Kunstharz einlagerten. Unterhalb einer bestimmten Temperatur quoll das Hydrogel auf und die Lamellen wurden aufgerichtet. Die Lamellenspitzen reichten dadurch in die zweite, darüber liegende Schicht aus flüssigen Reagenzien hinein. Weil die Spitzen mit einem Katalysator bestückt worden waren, startete in der Flüssigkeit eine exotherme Reaktion. Die dabei freigesetzte Wärme heizte das gesamte Modul auf und verursachte ab einer bestimmten Temperaturschwelle ein Schrumpfen des Hydrogels. Zugleich senkten sich die Lamellen wieder ab und zogen ihre Katalysatorspitzen aus der Flüssigkeit heraus, so dass die Reaktion stoppte. „Dieser Vorgang ist vergleichbar mit einer Gänsehaut, die sich bei Kälte auf der Haut bilden kann“, sagt Aizenberg.

Nach dem gleichen Wirkprinzip können nun Module konstruiert werden, die nicht auf die Temperatur, sondern auch auf Druck, Luftfeuchtigkeit, Lichteinfall oder den Säuregrad der Umgebung reagieren. Mit ausgewählten Reagenzien in der oberen Schicht und Katalysatoren auf den Lamellenspitzen kann dann jeweils die gewünschte Reaktion eingeleitet werden, die der ursprünglichen Stimulierung entgegenwirkt. Diese Art der Selbstregulation benötigt keine externe Energieversorgung.

Obwohl sich diese Werkstoffe noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium befinden, können sich die Wissenschaftler zahlreiche Anwendungsgebiete vorstellen. So ließen sich die Reaktionsbedingungen etwa in Chemiereaktoren leichter kontrollieren und regeln. Auch Geräte, die völlig selbstständig den Blutzuckerspiegel von Diabetespatienten oder das Raumklima in Bürogebäuden einstellen, seien vorstellbar.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nachrichten/2012/mikrolamellen-reagieren-auf-aeussere-reize/