Verschiebung von Elektronen entlang chemischer Bindungen
Forschungsverbund Berlin e.V./Kim Petersen
Mit kurzen Röntgenblitzen haben Forscher die Bewegung von Elektronen in kristallinem Lithiumhydrid unter dem Einfluss eines elektrischen Feldes abgebildet. Die Röntgenaufnahmen, die die Wissenschaftler kürzlich in der Fachzeitschrift Physical Review Letters präsentierten, zeigen, dass die elektrische Abstoßung der Elektronen entscheidenden Einfluss auf die Bewegungsrichtung der Elektronen hat. Obwohl dies bereits Thema zahlreicher theoretischer Veröffentlichungen war, gab es bisher nur wenige experimentelle Einblicke in das Verhalten solcher bewegter Ladungsträger in kristallinen Strukturen.
Die Wissenschaftler um Vincent Juvé vom Max-Born-Institut in Berlin erfassten die Elektronenbewegung in einem Lithiumhydridkristall (LiH) in Form einer zeitabhängigen Landkarte der Elektronenverteilung. Lithiumhydrid, bestehend aus Lithium- (Li) und Wasserstoffatomen (H), hat eine ähnliche Struktur wie das auch als Kochsalz bekannte Natriumchlorid (NaCl). Bei NaCl handelt es sich um einen ionischen Kristall, also um eine regelmäßige Anordnung von postitiv und negativ geladenen Atomen. Im Gegensatz dazu befindet sich LiH jedoch in einer Art Mischvariante zwischen ionischer Bindung, in der die Elektronen zwischen den Atomen vollständig ausgetauscht werden, und kovalenter Bindung, in der die Atome neutral bleiben. Dieser Mischzustand wird als Li0.5+H0.5- notiert.
In den Experimenten des Forscherteams werden die Elektronen durch ein sehr starkes elektrisches Feld in Bewegung gesetzt, das in einem Zeitintervall von 50 Femtosekunden – also 50 Milliardstel einer Millisekunde – durch einen optischen Lichtimpuls an den LiH-Kristall angelegt wird. Die dadurch veränderte Elektronenverteilung wird mittels 100 Femtosekunden langen Röntgenblitzen, die an der Probe gestreut werden, gemessen. So entstehen zeitabhängige Elektronendichte-Landkarten, die eine extrem schnelle Verschiebung elektrisch negativer Ladung von den Li0.5+ zu den H0.5- Ionen über eine Distanz von 0,2 Nanometern zeigen. Diese Verschiebung wird stark durch die räumlichen Wechselwirkungen unter den Elektronen im Kristall beeinflusst. Da das elektrische Feld des optischen Impulses seine Richtung alle 1,3 Femtosekunden wechselt, werden die Elektronen zwischen jeweils zwei Ionen mit etwa einem Prozent der Lichtgeschwindigkeit hin- und hergezogen. Nach dem optischen Impuls kehren sie zurück und die ursprüngliche Elektronenverteilung ist wieder hergestellt.
Diese unerwartete Art und Weise der Ladungsverschiebung bedeutet, dass das Material bei Anlegen eines elektrischen Feldes stärker ionisch wird, und steht somit im Gegensatz zum üblichen Verhalten ionischer Systeme. Die Manipulation von Elektronenverteilungen mittels starker elektrischer Felder stellt eine interessante Möglichkeit dar, auf sehr kurzen Zeitskalen die Eigenschaften von Materialien zu kontrollieren, die beispielsweise in ultraschnellen elektrischen Schaltern technische Anwendung finden könnte.
Pressemeldung/Welt der Physik gemäß den Bedingungen der Quelle
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nachrichten/2013/verschiebung-von-elektronen-entlang-chemischer-bindungen/