Reale Materialien aus dem Computer
Max-Planck-Institut für Eisenforschung
Punktdefekte – wie zum Beispiel das Fehlen einzelner Atome – bestimmen maßgeblich die elektrischen und mechanischen Eigenschaften von Materialien. Selbst geringe Defektkonzentrationen von eins zu hunderttausend können etwa die Dotierung von Halbleitern in der Mikroelektronik oder die Robustheit von Stahl beeinflussen. Bisher konnten Physiker diesen Einfluss nur für besonders tiefe oder hohe Temperaturen berechnen. Ein Team am Max-Planck-Institut für Eisenforschung hat nun eine Computersimulation entwickelt, die Vorhersagen auch im mittleren Temperaturbereich ermöglicht, insbesondere bei Raumtemperatur. Von ihren Ergebnissen berichten die Forscher im Fachblatt „Physical Review X“.
Um Defekte in einem Material zu untersuchen und damit Rückschlüsse auf seine elektrischen und mechanischen Eigenschaften zu ziehen, gab es bisher zwei Herangehensweisen. Theoretische Physiker berechneten die Energie der Punktdefekte, eine Größe, die sehr genau zeigt wie viele Defekte im Material vorhanden sind; ihre Berechnungen funktionierten aber nur am sogenannten absoluten Nullpunkt, das heißt bei rund minus 273 Grad Celsius. Experimentalphysiker hingegen konnten Defekte ausschließlich bei recht hohen Temperaturen im Bereich von 327 bis 727 Grad Celsius messen. Es bestand also ein großes Temperaturintervall ohne brauchbare Daten. Genau dieses fehlende Intervall ist aber wichtig bei der Berechnung von Defekten in Materialien, die bei Raumtemperatur angewendet werden. Hinzu kommen sogenannte Gitterschwingungen: Kristalline Materialien bestehen aus Atomen, die in Gittern angeordnet sind. Die einzelnen Atome sitzen jedoch nicht perfekt auf ihren Gitterplätzen, sondern vibrieren mit hohen Geschwindigkeit um ihre Plätze herum.
„Bisherige Berechnungen der Energien von Gitterdefekten konnten die komplexe Wechselwirkung von Gitterschwingungen nicht einbeziehen“, so Erstautor Albert Glensk vom Max-Planck-Institut für Eisenforschung. Mithilfe einer neuen Methodik sei es den Forschern aber nun gelungen, die Gitterschwingungen und deren Temperaturabhängigkeit in ihren Berechnungen vollständig mitzunehmen. Bisherige Ergebnisse über Defekte in kristallinen Materialien müssten nun korrigiert werden. „Unsere Rechnungen zeigen, dass die bisher verwendeten Defektenergien um bis zu 20 Prozent niedriger ausfallen als angenommen. Zum ersten Mal wird nun die Lücke zwischen Theorie und Experiment überbrückt. Alle experimentellen Ergebnisse können nun auch theoretisch beschrieben werden“, so Glensk.
Mit dieser neuen Einsicht können Wissenschaftler nun viel genauer berechnen und vorhersagen, wie viele Defekte im Material vorhanden sind, um dadurch Aussagen über die Eigenschaften des Materials zu treffen. Zukünftig wird es also besser möglich sein, Werkstoffe am Computer zu optimieren und ein mögliches Materialversagen vorherzusagen.
Pressemitteilung gemäß den Bedingungen der Quelle
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nachrichten/2014/reale-materialien-aus-dem-computer/