Simulation physikalischer Eigenschaften stößt an Grenzen
Jan Oliver Löfken
Die widerstandslose Stromleitung bei Raumtemperatur gilt als ein Gral der Festkörperphysik. Nicht nur mit Experimenten tasten sich Physiker an dieses Ziel heran, auch aufwendige Simulationen von neuen Materialien sollen bei dieser langwierigen Suche helfen. Theoretische Modelle taugen aber nur begrenzt zur Vorhersage physikalischer Eigenschaften. Zu diesem Ergebnis kam nun eine Gruppe von Mathematikern und Informatiker aus Deutschland, Großbritannien und Spanien. Wie sie in der Fachzeitschrift „Nature“ berichten, reicht selbst eine vollständige Beschreibung aller Quantenzustände eines Systems nicht aus, um das Verhalten dieses Systems in seiner makroskopischen Gänze – also als neuen, greifbaren Werkstoff – vorherzusagen.
„Der britische Mathematiker Alan Turing bewies, dass bestimmte mathematische Fragen unentscheidbar sind“, sagt Toby Cubitt vom University College London. Die Entscheidung über wahr oder falsch liegt bei diesen Fragen außerhalb der Reichweite der Mathematik. Bisher fanden Wissenschaftler solche unentscheidbaren Probleme vor allem in der theoretischen Informatik oder in der mathematischen Logik. Cubitt und Kollegen fanden nun aber ein Beispiel in der Physik von Quantenmaterialien, das theoretische Ansätze der Materialforschung seine Grenzen aufwies.
Für ihren Beweis betrachtete Cubitt zusammen mit Michael Wolf von der TU München und David Pérez-García von der Universität Complutense in Madrid das Modell eines flachen, zweidimensionalen Materials. Für dieses berücksichtigten sie alle auftretenden Quantenzustände, um die Übergänge von Elektronen aus dem niedrigsten Energieniveau auf angeregte Zustände vorherzusagen. Die Erwartung: Die Größe der sogenannten „spektralen Lücke“ kann eine sprunghafte Änderung, etwa der elektrischen Leitfähigkeit, eines Materials erklären helfen. Ein Beispiel ist der Übergang von einem normalleitenden in einen supraleitenden Zustand eines Werkstoffs. Doch die Methoden der Mathematik ließen keine eindeutige Aussage über die spektrale Lücke des quantenphysikalisch vollständig bekannten Materials zu. „Der Grund liegt darin, dass Modelle auf dieser Ebene ein extrem abnormes Verhalten zeigen“, erklärt Pérez-García.
Wissenschaftler, die mögliche neue Materialien und ihre Eigenschaften im Computer berechnen wollen, könnten von dieser Unberechenbarkeit enttäuscht sein. Doch zeigt diese Einschränkung auch neue Chancen für die Physik auf. „Fügt man zu einem Stück Materie, egal wie groß, auch nur ein einziges Teilchen hinzu, könnte dies im Prinzip seine Eigenschaften dramatisch verändern“, sagt Pérez-García. So bleibt weiterhin die Möglichkeit bestehen, dass Supraleiter mit bisher unerreichter hoher Sprungtemperatur nicht im Computer, sondern klassisch im Experiment gefunden werden könnten.
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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nachrichten/2015/unberechenbare-physik/