Stahl nach dem Vorbild von Knochen
Jan Oliver Löfken
Nach vielen Jahren können Stahllegierungen in Brücken, Flugzeugen oder Kraftwerken ermüden. Mikrorisse breiten sich aus und plötzliche Belastungen führen zu Brüchen mit teils katastrophalen Folgen. Die große Stabilität von gewachsenen Knochen führte nun eine internationale Gruppe von Materialforschern zu einer effizienten Strategie gegen ermüdende Stähle. Wie die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Science“ berichten, könnte eine ausgeklügelte, hierarchisch aufgebaute Nanostruktur zu einer deutlich längeren Lebensdauer der Werkstoffe führen.
„Belastungen von strukturellen Komponenten sind häufig zyklisch“, sagt Cemal Cem Tasan vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge. Verursacht durch Temperaturwechsel und Vibrationen ist die einzelne Belastung zwar unkritisch, doch viele tausend Male wiederholt, führen sie zur Ermüdung und schließlich zum Bruch eines Materials. So suchte der Metallurge gemeinsam mit seinen Kollegen nach neuen Strategien, um Stahllegierungen vor Ermüdungserscheinungen zu schützen. Dabei ließen sich die Forscher vom komplexen inneren Aufbau von Knochen inspirieren.
Tasan und Kollegen analysierten die filigranen Strukturen in Knochen und entdeckten in teils hochfesten Stählen grundlegende Ähnlichkeiten. Insgesamt identifizierten sie drei Strukturelemente, um die Bildung und Ausbreitung von gefährlichen Mikrorissen verhindern zu können. Eine schichtartige Struktur verhinderte das Wachstum von Mikrorissen über einzelne Schichten hinweg. Eine ausgewogene Mischung aus weichen und härteren Kristallanteilen im Stahl vermied unter zyklischer Belastung ebenfalls eine schnelle Vergrößerung von Mikrorissen. Und schließlich absorbierte ein Werkstoff mit Zonen aus unterschiedlichen Kristallstrukturen die Energie einer Belastung effizient über mögliche Phasenwechsel und neue Anordnungen der kristallinen Bereiche.
An ersten eigens gefertigten Stahllegierungen erkannten die Wissenschaftler, dass alle drei Charakteristika gemeinsam den wirkungsvollsten Schutz vor Brüchen boten. Auf der Basis dieser Ergebnisse könnten nun viele verschiedene Stahllegierungen optimiert werden. Zwar könnten damit die Fertigungskosten für Bauteile aus Stahl steigen, doch ließe sich in Zukunft auch viel Material einsparen. Denn heute werden Stahlbauteile mit einem großzügigen Sicherheitspuffer massiver konstruiert als es für die jeweilige Anwendung eigentlich nötig wäre, um die Gefahr von Materialermüdung zu senken.
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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nachrichten/2017/stahl-nach-dem-vorbild-von-knochen/