Kreisel weisen Weg zu neuer Materialklasse

Physiker imitieren die besonderen Eigenschaften von topologischen Isolatoren mithilfe von rotierenden Kreiseln – und stoßen dabei auf ein überraschendes Verhalten.

Jan Oliver Löfken

Die noch junge Materialklasse der topologischen Isolatoren vereint scheinbar widersprüchliche Eigenschaften. So können diese Materialien elektrischen Strom an ihrer Oberfläche gut leiten, verhalten sich im Inneren aber wie ein Isolator. Bisher bestehen diese topologischen Isolatoren aus streng geordneten, kristallinen Schichten. Doch auch ungeordnete, amorphe Materialien sollten prinzipiell topologische Isolatoren bilden können. Diese Möglichkeit neuartiger topologischer Isolatoren – ohne einen geordneten inneren Aufbau – untermauerten Forscher nun mit einem Modellsystem aus miteinander verknüpften Kreiseln sowie aufwendigen Computersimulationen. Ihre Ergebnisse stellte das Team in der Fachzeitschrift „Nature Physics“ vor.

„Mit Federn verknüpfte Kreisel bieten eine ideale Plattform, um die Physik von topologischen Materialien zu untersuchen“, sagt Noah Mitchell von der University of Chicago. Denn mit diesem mechanischen System lässt sich das Wechselspiel von Atomen und Elektronen in einem topologischen Isolator simulieren. In den nun durchgeführten Experimenten stabilisierten sich die rotierenden Kreisel, angetrieben durch kleine Elektromotoren, an jeweils festen Positionen. Bereits eine kleine Störung des Systems reichte aus, um die am Rand angeordneten Kreisel ins Trudeln zu bringen. Das Trudeln setzte sich völlig selbstständig in Form einer Welle fort – vergleichbar mit einer La-Ola-Welle im Fußballstadion – und breitete sich über die Randkreisel im Uhrzeigersinn aus. Dieses Verhalten entspreche der Leitfähigkeit für elektrischen Strom an der Oberfläche eines topologischen Isolators, so Mitchell und seine Kollegen.

Drei Schemen nebeneinander, auf denen Kreise mit Mittelpunkt abgebildet sind. Auf jedem Bild bilden sich um einige Kreise im Außenbereich größere farbige Hintergründe.

Mechanisches Modell für einen topologischen Isolator

Zunächst führten die Wissenschaftler das kollektive Verhalten der Kreisel auf deren streng symmetrische Anordnung zurück – analog zu Atomen in einem Kristallgitter. Um diese These zu überprüfen, änderten sie sowohl in ihren Simulationen als auch im Experiment zufällig die Positionen der mit Federn verknüpften Kreisel. Zur Überraschung des Teams bildete sich wieder eine umlaufende Welle trudelnder Kreisel aus. „So konnten wir zeigen, dass die topologischen Eigenschaften auch in komplett amorphen Strukturen auftreten können“, erläutert Mitchell. Übertragen auf die Festkörperphysik könnten diese Erkenntnisse vielleicht den Weg zu topologischen Isolatoren aus ungeordneten, amorphen Materialien ebnen. Diese ließen sich möglicherweise sogar über einen Prozess der Selbstorganisation günstig in großer Menge produzieren, so die Forscher.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nachrichten/2018/kreisel-weisen-weg-zu-neuer-materialklasse/