Fitnesstraining für künstliche Muskeln

Ein neu entwickeltes Hydrogel heilt sich nach mechanischer Belastung nicht nur selbst, sondern nimmt auch an Masse zu.

Jan Oliver Löfken

Zwei Hände ziehen an einer durchsichtigen Struktur.

T. Nakajima et al.,/Universität Hokkaido

In Zukunft könnten sich Risse in Beton oder in Smartphonedisplays mit selbstheilenden Materialien ganz von alleine reparieren. Forscher imitierten nun sogar das natürliche Muskelwachstum, durch das lebende Muskelfasern nach einem Fitnesstraining verstärkt werden. Wie sie in der Fachzeitschrift „Science“ berichten, entwickelten sie dazu ein spezielles Hydrogel, das sich nach einer mechanischen Belastung nicht nur selbst heilt, sondern dabei sogar an Masse und Widerstandsfähigkeit zulegt.

Grafik zur Veranschaulichung der Prozesse: oben links: ein Finger drückt auf einen weichen Gegenstand und zeigt dadurch seine Flexibilität; oben Mitte: ein Hammer schlägt auf den Gegenstand und verbeult ihn; oben rechts: die Beule ist wieder verschwunden, der mittlere Bereich des Gegenstandes rot eingefärbt; unten Abbildung des Kristallgitters des Gegenstandes: links wird es beschädigt, in der MItte finden Verbindungen wieder zusammen, rechts ist es wieder intakt

Prinzip des Selbstheilungseffekts

Zunächst entwickelten Tasuku Nakajima von der Universität Hokkaido und seine Kollegen ein flexibles Material mit einem Wasseranteil von etwa 85 Prozent. In diesem Hydrogel fügen sich zwei verschiedene Kunststoffe zu einem doppelten Polymernetzwerk zusammen. Die Forscher dehnten eine solche Hydrogelfaser bis kurz vor ihre Belastungsgrenze. Dabei rissen einzelne Fasern, vergleichbar mit feinen Muskelrissen bei einem intensiven Lauftraining, und reparierten sich anschließend wie in einem lebenden Organismus von alleine. Verantwortlich dafür sind chemisch aktive Bereiche an den Risskanten im Polymernetzwerk: Hier können Monomere andocken, sobald man das Hydrogel in eine Nährflüssigkeit mit einzelnen Monomer-Molekülen taucht. Daraufhin fügt sich das Hydrogel zu neuen und sogar stärker ausgeprägten Polymernetzwerken zusammen, wodurch sich die Faser bei gleicher Belastung deutlich weniger ausdehnt.

„Dieser Ansatz zeigt, dass sich auch künstliche Materialien wie lebendes Gewebe verhalten können“, so Nakajima. Es ließ sich nicht nur die Stabilität der Faser um ein Vielfaches steigern. Auch das Gewicht der Faser nahm um bis zu 86 Prozent zu – ein Verhalten, das sonst nur lebende Muskeln nach einem intensiven Training zeigen. In weiteren Versuchen wollen die Forscher sowohl die Stabilität ihrer Fasern erhöhen als auch die Kontrolle über den selbstheilenden Mechanismus verfeinern.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nachrichten/2019/fitnesstraining-fuer-kuenstliche-muskeln/