Je heißer, desto kleiner

Nahezu alle Materialien dehnen sich aus, wenn man sie erwärmt – winzige magnetische Partikel verhalten sich nun genau entgegengesetzt.

Jan Oliver Löfken

Mikroskopaufnahme des Materials: Punktestruktur, die sich im oberen Bereich des Bildes verdichtet

João H. Belo

Nahezu alle Materialien – Kunststoffe, Metalle und sogar Holz – dehnen sich aus, wenn man sie erwärmt. Das gilt prinzipiell auch für eine spezielle magnetische Legierung, die Wissenschaftler nun untersucht haben. Das Temperaturverhalten des Materials ändert sich allerdings drastisch, wenn es in Form von Nanopartikeln vorliegt. Wie die Forscher im Fachblatt „Physical Review B“ berichten, könnte diese Entdeckung zu neuen Werkstoffen führen.

Mithilfe eines gepulsten Lasers sprengten João Belo von der Universität Porto und seine Kollegen winzige Partikel aus einer Gadolinium-Silizium-Germanium-Legierung. Um das Verhalten dieser Nanoteilchen bei unterschiedlichen Temperaturen genau zu untersuchen, setzten die Forscher die sogenannte Röntgenstrukturanalyse ein: An der Advanced Photon Source am amerikanischen Argonne National Laboratory und am europäischen Synchrotronlabor ESRF in Grenoble schickten sie intensive Röntgenstrahlung auf die Partikel, die am Kristallgitter der Teilchen abgelenkt wurde. Aus dem Beugungsmuster ließ sich dann auf den atomaren Aufbau – und damit die Größe – der Nanopartikel schließen.

Während dieser Messungen wärmten Belo und sein Team die Proben langsam auf. Das Ergebnis: Bei einem Temperaturanstieg von minus 160 bis minus 90 Grad Celsius schrumpften die Nanoteilchen um etwa drei Promille. Bei einer Erwärmung von minus 50 auf plus 70 Grad Celsius nahm das Volumen sogar um sechs Promille ab. Als Festkörper dehnte sich die Legierung bei dem gleichen Temperaturanstieg dagegen um etwa zwei Promille aus. Auch bei Raumtemperaturen zeigten die Nanopartikel eine negative thermische Expansion. Verantwortlich für das Schrumpfen bei steigenden Temperaturen machen die Forscher einen hohen Oberflächendruck. Dieser wird durch die verhältnismäßig große Oberfläche pro Teilchen verursacht und erreicht Werte bis zu 11 000 bar. Unter diesem Druck schrumpften in den winzigen Magnetpartikeln vor allem die Abstände zwischen den enthaltenen Gadolinium- und Germaniumatomen.

„Materialien mit negativer Wärmeausdehnung stoßen auf zunehmendes Interesse“, sagt Belo. Sie legen die Grundlage für neuartige Kompositwerkstoffe, die sich in Abhängigkeit von der Temperatur weder ausdehnen noch schrumpfen. Dieses Ziel lässt sich erreichen, indem man Stoffe mit positiver und negativer Wärmeausdehnung vermischt. Auf diese Weise würden sich die gegenläufigen Effekte gegenseitig aufheben. Mögliche Anwendungen sehen die Wissenschaftler etwa in Elektronikmodulen, die an Bord von Raumsonden extremen Temperaturschwankungen unterliegen. Belo und seine Kollegen planen bereits weitere Experimente, um die negative thermische Expansion weiter zu optimieren und zudem kontrollierbar zu machen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nachrichten/2019/je-heisser-desto-kleiner/