„Neuartige Eigenschaften von Materie erforschen“

Mit einer neuartigen Variante der Röntgenspektroskopie lassen sich die Eigenschaften von Materialien noch besser analysieren und verstehen.

Dirk Eidemüller

Das Bild zeigt eine Stadt, Berge, einen Fluss und einen großen Beschleunigerring.

Jayet/ESRF

Mit extrem intensiver Röntgenstrahlung untersuchen Forscher die Eigenschaften von Materie, um beispielsweise neuartige Materialien zu entwickeln. Ein internationales Forscherteam hat nun eine neue Variante der Röntgenspektroskopie entwickelt, mit der sich die Eigenschaften von Materialien noch besser analysieren und verstehen lassen. Im Interview mit Welt der Physik spricht Markus Grüninger von der Universität Köln über die neue Methode.

Welt der Physik: In Ihren Experimenten nutzen Sie die Röntgenspektroskopie. Worum handelt es sich dabei?

Markus Grüninger: Wir arbeiten mit äußerst intensiver Röntgenstrahlung, die man in dieser Stärke und Qualität nur an sogenannten Synchrotronquellen erhält. Die Strahlung wird von Elektronen erzeugt, die in einem Speicherring mit beinahe Lichtgeschwindigkeit fliegen. Im Speicherring befinden sich Magnete, die die Elektronen zur Aussendung der intensiven Röntgenstrahlen anregen. Mit dieser exzellenten Strahlungsquelle kann man sehr unterschiedliche Experimente betreiben.

Wie werden diese Experimente durchgeführt?

Porträt Markus Grüninger

Markus Grüninger

Wir wählen zunächst nur die Röntgenphotonen aus, die in einem sehr schmalen Energiebereich liegen. Mit diesen beleuchten wir Materie, genauer kristalline Festkörper, und analysieren die an ihnen gestreute Strahlung. Im Gegensatz zur Röntgenaufnahme beim Arzt, wo man sozusagen bloß einen Schattenwurf erhält, erzeugen die gestreuten Röntgenphotonen ein sogenanntes Interferenzmuster. Wichtig ist dabei, dass die Art der Information von der Energie der gestreuten Röntgenphotonen abhängt.

Was bedeutet das?

Haben die gestreuten Photonen die gleiche Energie wie die eingestrahlten, dann spricht man von elastischer Streuung. Das ist die seit Jahrzehnten etablierte Standardmethode, um Kristallstrukturen zu bestimmen – also herauszufinden, wo in einem Kristall welche Atome sitzen. Wir untersuchen dagegen sogenannte inelastisch gestreute Photonen. Diese besitzen etwas weniger Energie als die eingestrahlten Photonen. Die Energiedifferenz wird an den Kristall abgegeben und eine Anregung erzeugt. Diese Methode bezeichnet man als „Resonant Inelastic X-ray Scattering“ oder kurz RIXS. Wir haben dieses Verfahren nun weiterentwickelt.

Was genau haben Sie denn weiterentwickelt – und warum?

Als Festkörperphysiker suchen wir nach fundamental neuartigen Eigenschaften von Materie oder versuchen, diese interessanten Eigenschaften zu verstehen. Dazu untersuchen wir mit spektroskopischen Methoden häufig neue, aus der Sicht des Physikers noch völlig unverstandene chemische Verbindungen. Das ist ein bisschen wie mit Musikinstrumenten: Wenn man etwas über das Instrument wissen will, seinen Klang oder andere Eigenschaften kennenlernen möchte, dann muss man es spielen – es in einen angeregten Zustand bringen. Spektroskopische Methoden zeigen uns, bei welchen Frequenzen beziehungsweise Energien die Anregungen liegen. Aber das genügt häufig nicht. In unserem Vergleich: Die Information, dass ein Instrument unter anderem bei 440 Hertz einen Ton erzeugt, bringt uns noch nicht viel weiter. Wir brauchen den Klang, also den Charakter der Anregungen. Und genau das liefert unsere neue Methode.

Grafik einer Versuchsanordnung: Im Vordergrund ein geometrischer Körper, in dem sich zwei Kugeln befinden; eine lila-schwarz-gestreifte Fläche bewegt sich darauf zu, wie ein blauer Pfeil anzeigt; an dem Punkt, an dem die Fläche auf eine senkrecht dazu angeordnete schwarze Fläche trifft, verändert sie sich und wird zu einer roten, halbkreisförmigen. Im Hintergrund: ein Koordinatensystem mit Wellenlinie als Diagramm

Röntgenspektroskopie

Wie funktioniert das neue Verfahren?

Wir haben einen Kristall gewählt, der aus den Elementen Iridium, Sauerstoff, Barium und Cer aufgebaut ist. Dabei interessieren uns nur die jeweils zwei Iridiumatome im Kristallgitter, die eine molekülartige Verbindung miteinander eingehen und ein sogenanntes Dimer bilden. Mit elastischer Streuung könnte man nun die Struktur des gesamten Kristalls untersuchen, mit resonanter elastischer Streuung würde man nur noch die Positionen aller Iridiumatome sehen. Mit unserer Methode lässt sich jetzt nicht nur die Energie der Anregungen bestimmen, sondern auch ihr Charakter. Denn bei der resonanten inelastischen Streuung wird nur eines der beiden Iridiumatome angeregt. Da wir nicht wissen, welches der beiden Atome das ist, erhalten wir bei unseren Streuexperimenten ein ganz bestimmtes Interferenzmuster. Und damit können wir auf den Charakter der Anregung rückschließen. Das ist ein ganz entscheidender Fortschritt.

Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich damit für neue Materialien?

Wir haben unsere neue Methode zunächst einmal für Iridium-Verbindungen etabliert, da diese zurzeit sehr intensiv untersucht werden. Unsere RIXS-Interferometrie-Variante lässt sich aber auch für andere Elemente und Verbindungen einsetzen – auch solche, die aus mehr als zwei Atomen bestehen. Insgesamt hat sich das weite Gebiet der Spektroskopie mit Röntgenstrahlung in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt. Unsere Experimente wären vor wenigen Jahren technisch noch gar nicht möglich gewesen. Bei unseren Messungen beträgt die Ungenauigkeit in der Energie der Röntgenphotonen nur ungefähr ein Millionstel der Energie selbst. Das ist äquivalent zur Messung einer Länge von etwa einem Kilometer mit einer Genauigkeit von einem Millimeter. Letztlich ist unsere Methode ein weiteres Werkzeug im stetig wachsenden Werkzeugkoffer der Materialwissenschaftler und Festkörperphysiker, mit dessen Hilfe man Materialien mit neuartigen Eigenschaften erforschen und besser verstehen kann.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nachrichten/2019/neuartige-eigenschaften-von-materie-erforschen/