Supraleitend fast bei Raumtemperatur

Unter Hochdruck leitet eine chemische Verbindung aus Wasserstoff und Lanthan den elektrischen Strom bereits bei minus 23 Grad Celsius verlustfrei – ein neuer Rekord.

Redaktion

Diamantstempelzelle

Thomas Hartmann

Seit 1911 weiß man, dass bestimmte Materialien den elektrischen Strom bei extrem tiefen Temperaturen verlustfrei leiten können. Solche Supraleiter versprechen zahlreiche technische Anwendungen. Daher suchen Wissenschaftler fieberhaft nach Stoffen, die ihren elektrischen Widerstand schon bei höheren Temperaturen – idealerweise bei Raumtemperatur – verlieren. In der Zeitschrift „Nature“ verkündet ein Forscherteam nun einen neuen Rekord: Unter Hochdruck wird eine chemische Verbindung aus Wasserstoff und dem Übergangsmetall Lanthan bereits bei etwa minus 23 Grad Celsius supraleitend.

Den nötigen Druck erzeugten Mikhail Eremets vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz und seine Kollegen in einer sogenannten Diamantstempelzelle. Hierin lassen sich winzige Proben zwischen zwei Edelsteinen zusammenpressen. In ihren Experimenten füllten die Forscher neben Lanthan auch Wasserstoffgas in die Probenkammer und erhöhten schrittweise den Druck. Bei einem Wert von 170 Gigapascal – das entspricht mehr als dem millionenfachen Luftdruck oder etwa der Hälfte des Drucks im inneren Erdkern – bildete sich in den Versuchen eine sonst instabile und wasserstoffreiche Form von Lanthanhydrid, die sich aus jeweils einem Lanthanatom und zehn Wasserstoffatomen zusammensetzt. Bei einer Temperatur von rund 250 Kelvin beziehungsweise etwa minus 23 Grad Celsius sank der elektrische Widerstand in dieser Probe auf null, berichten die Forscher.

Typischerweise suchen Wissenschaftler nach drei Merkmalen, um einen supraleitenden Zustand zu bestätigen, so James Hamlin von der University of Florida in einem begleitenden Artikel. Eremets und seine Kollegen waren nun in der Lage, sowohl einen verschwindenden elektrischen Widerstand als auch das Absinken der Sprungtemperatur – ab der die Probe supraleitend wird – in einem von außen angelegten Magnetfeld zu messen. Das dritte kennzeichnende Phänomen ließ sich dagegen nicht nachweisen: Ein Supraleiter verdrängt ein äußeres Magnetfeld vollständig aus seinem Inneren. Die Probe war mit zehn bis zwanzig Mikrometern einfach zu klein und das messbare Signal damit zu schwach, so die Forscher, um diesen sogenannten Meißner-Ochsenfeld-Effekt mit heutigen Methoden zu detektieren.

„Unsere Studie ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Supraleitung bei Raumtemperatur“, so Eremets. Auch wenn der Physiker und sein Team diesem Ziel schon sehr nahe kommen, dürfte Lanthanhydrid für praktische Anwendungen eher uninteressant sein – zumindest so lange es nur unter Hochdruck stabil bleibt. Doch möglicherweise ließen sich künftig Verfahren finden, solche supraleitenden Verbindungen auch ohne hohen Druck herzustellen, meint Hamlin.

2015 hatten die Forscher um Eremets bereits einen Rekord mit Schwefelhydrid aufgestellt, das den elektrischen Strom bei minus 70 Grad Celsius verlustfrei leitet. Derzeit untersuchen die Wissenschaftler weitere Hydride auf ihre supraleitenden Eigenschaften, wie etwa Yttriumhydrid. „Bei diesem Material erwarten wir Supraleitung bei noch höheren Temperaturen“, sagt Eremets.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nachrichten/2019/supraleitend-fast-bei-raumtemperatur/