Selbstkühlende Folie nach Käferart
Bockkäfer der Art Neocerambyx gigas sind wahre Überlebenskünstler: An den Hängen aktiver Vulkane auf Java und Sumatra kommen sie mühelos mit den hohen Temperaturen zurecht. Das Geheimnis liegt in ihren nanostrukturierten und extrem gut reflektierenden Deckflügeln. Forscher haben diesen Aufbau nun genauer untersucht und – inspiriert von diesen natürlichen Strukturen – eine spezielle Kunststofffolie entwickelt. In der Zeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ berichten sie, dass die neuartige Folie einen Großteil des Sonnenlichts reflektiert und so einen passiven Kühleffekt ermöglicht.
Das Team um Han Zhou von der Jiaotong-Universität Shanghai betrachtete die Deckflügel des indonesischen Bockkäfers unter dem Rasterelektronenmikroskop. Auf der schimmernden Oberfläche ließen sich so extrem feine Haare erkennen – rund 25 000 pro Quadratzentimeter. Jedes Härchen besaß einen dreieckigen Querschnitt mit je einer geriffelten und zwei glatten Kanten. Diese nur wenige Hundert Nanometer feinen Strukturen reflektieren etwa zwei Drittel des Sonnenlichts vom blauen bis zum infraroten Spektralbereich und führen zu einer Abkühlung der Käferflügel um bis zu drei Grad Celsius. Ohne diese haarige Schicht sank das Reflexionsvermögen auf ein Drittel ab und der Kühleffekt blieb aus.
Zhou und ihre Kollegen ahmten die filigranen Strukturen der Käferflügel auf einer Kunststofffolie nach. Dazu prägten sie eine periodische Struktur aus nur wenige Mikrometer großen Pyramiden in eine dünne Polymerschicht. In ersten Tests zeigte sich, dass die Folie einfallendes Sonnenlicht unabhängig vom Einfallswinkel effizient reflektierte. Um die Reflexionseigenschaften noch weiter zu steigern, verteilten die Materialforscher winzige weiße Kügelchen aus Aluminiumoxid im Polymerfilm. Dadurch reflektierte die neuartige Folie etwa 95 Prozent des Sonnenlichts und übertraf damit sogar den Käferflügel. Das hohe Reflexionsvermögen sorgte auch für einen Kühleffekt: Verglichen mit einem weißen Blatt Papier war die Kunststofffolie um bis zu sieben Grad kälter.
„An sonnigen Tagen ließen sich mit dieser Folie beispielsweise Smartphones, Elektronik und sogar Textilien kühlen“, sagt Zhou. Und auch an Gebäuden kann sich die Wissenschaftlerin die Folie nach Käferart vorstellen, um ein Aufheizen im Sommer und den stromhungrigen Betrieb von Klimaanlagen zu reduzieren. Zunächst will das Team das Fertigungsverfahren allerdings weiter optimieren, um das Material künftig günstig in großen Mengen produzieren zu können.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nachrichten/2020/selbstkuehlende-folie-nach-kaeferart/