Bauplan für stabile und elastische Kunststoffe

Von der Theorie zur Praxis haben Forschende Plastik völlig neu gedacht und scheinbar unvereinbare Eigenschaften darin kombiniert – dank einer besonderen Struktur.

Jan Oliver Löfken

Illustration einer bürstenartigen, länglichen Struktur, ähnlich einer haarigen Raupe, in der Haarknäuele rot hervorgehoben sind

Liheng Cai, Baiqiang Huang/Soft Biomatter Lab, University of Virginia School of Engineering and Applied Science

In unserer heutigen Welt kommt Plastik an unzähligen Stellen und in vielerlei Varianten zum Einsatz. Mal ist ein Kunststoff dehnbar wie Gummi, mal ist er starr und dafür fast so stabil wie Stahl. Verantwortlich für diesen Unterschied sind oft die Quervernetzungen zwischen den Molekülen im Kunststoff. Doch beide Eigenschaften – große Elastizität und hohe Stabilität – in einem einzigen Material zu vereinen, gelang bisher nur sehr eingeschränkt. Das könnte sich mit einem grundlegend neuen Bauplan für solche Materialien ändern, wie ein Forschungsteam in der Fachzeitschrift „Science Advances“ berichtet.

„Stellen Sie sich ein Herzimplantat vor, das sich bei jedem Herzschlag biegt und dehnt und dennoch viele Jahre lang stabil bleibt“, sagt Baiqiang Huang von der University of Virginia in Charlottesville. Bisher musste man für solche oder andere Kunststoffbauteile immer einen Kompromiss eingehen. Entweder war das Material flexibel, dafür aber kaum stabil. Oder es kam ein Kunststoff, ein sogenanntes Polymer, aus einem stabilen Netzwerk mit vielen Querverbindungen zum Einsatz. Dadurch büßte das Material jedoch viel Flexibilität ein.

Von der Simulation zum fertigen Kunststoff

Dieses Problems haben sich Huang und sein Team angenommen. Um beide möglichen Vorteile eines Kunststoffs zu vereinen, haben sie eine neue Struktur für ein Polymer entwickelt – zunächst durch theoretische Simulationen. Man kann sich die Struktur wie die einer winzige Flaschenbürste vorstellen, die mehrfach gefaltet ist: In der Mitte des Polymers befindet sich ein faltbarer Hauptstrang. Von ihm zweigen zahlreiche kurze Molekülketten mit zusätzlichen Abstandshaltern ab, sodass die Ketten nicht miteinander verknoten. Der Mittelstrang ist zudem auf das Vielfache seiner Länge dehnbar. Dabei richten sich die vielen Seitenketten geordnet um den Mittelstrang aus. Dadurch stabilisieren sie den gesamten Kunststoff, der somit flexibel und zugleich stabil ist.

Diesen Bauplan für neuartige Kunststoffe setzten die Forschenden anschließend in die Praxis um. Für den Mittelstrang und die zahlreichen Seitenketten wählten sie einen flexiblen Silikonkunststoff – Polydimethylsiloxan, kurz PDMS. Als Abstandshalter zwischen den Seitenketten ergänzten sie nicht vernetzte Einzelbausteine eines Kunststoffs, sogenannte Monomere aus einem Molekül namens Polybenzylmethacrylat. So entstand in vielen Schritten ein Kunststoff, der sich wie Gummi auf das Vielfache seiner Länge dehnen ließ. Zugleich blieb das Material vom ungedehnten bis zum gedehnten Zustand sehr stabil.

Wie das Experiment zeigte, ließ sich der zunächst theoretisch entwickelte Bauplan nach dem Vorbild einer Flaschenbürste tatsächlich zu einem stabilen und flexiblen Kunststoff umsetzen. Das stimmt die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zuversichtlich, dass sich das gleiche Konzept auch auf andere Kunststoffe übertragen lässt. So könnten sich viele neue Kunststoffmaterialien entwickeln lassen, die Stabilität und Dehnbarkeit auf völlig neue Weise vereinen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nachrichten/2024/neue-materialien-bauplan-stabile-elastische-kunststoffe/