Elektronik aus dem Nanozylinder
Einem deutsch-amerikanischen Forscherteam ist es gelungen, konventionelle organische Moleküle und leitfähige Polymere zu Materialien aus winzigen Nanozylindern zu vereinen. Diese haben neuartige elektronische Eigenschaften.
Optoelektronische Bauelemente aus Kunststoff können eine wichtige Alternative zu klassischen Elektroniken aus Halbleiterkristallen werden. Einem deutsch-amerikanischen Forscherteam ist es nun gelungen, konventionelle organische Moleküle und leitfähige Polymere zu Materialien aus winzigen Nanozylindern zu vereinen. Diese haben neuartige elektronische Eigenschaften. Mit leistungsfähigen spektroskopischen Methoden haben Wissenschaftler um Prof. Hans Joachim Spiess am Mainzer Max-Planck-Institut für Polymerforschung wesentlich zur Aufklärung der atomaren Struktur dieser Nanozylinder beigetragen.
Die Entdeckung elektrisch leitfähiger organischer Kristalle und Polymere (Nobelpreis für Chemie 2000) hat das Spektrum der Materialien erweitert, die für einen Einsatz in der Optoelektronik geeignet sind. Die Optoelektronik ist eine Verbindung zwischen Licht und Elektronik: Sie wandelt zum Beispiel Licht in elektrischen Strom um - das machen elektronische Kameras – oder umgekehrt elektrischen Strom in Licht wie zum Beispiel Laserdioden im CD-Spieler.
Für den Einsatz in der Optoelektronik müssen die neuen Materialien allerdings zwei Voraussetzungen erfüllen. Erstens müssen sie für den Stromfluss genügend freie elektrische Ladungsträger zur Verfügung stellen. In Elektroniken sind das entweder negativ geladene Elektronen (n-Halbleiter) oder ihr Gegenteil: positiv geladene Löcher (p-Halbleiter), die eigentlich aus fehlenden Elektronen entstehen. Diese Ladungsträger müssen auch sehr mobil sein, um schnell genug durch die elektronische Schaltung fließen zu können. Zweitens müssen sich diese Materialien leicht herstellen und verarbeiten lassen.
Kristalle – etwa Halbleiter – haben eine präzise räumliche Struktur und können eine hohe elektronische Leitfähigkeit aufweisen. Doch in Herstellung und Weiterverarbeitung sind sie schwer zu handhaben. Polymere hingegen sind billig zu produzieren und lassen sich gut verarbeiten. Polymermaterialien haben jedoch meist eine räumlich sehr ungeordnete Struktur und bieten damit viele Hindernisse, die die Beweglichkeit ihrer Ladungsträger stark reduzieren. In Flüssigkristallen wiederum können die Moleküle sich fast so hoch geordnet ausrichten wie in einem echten Kristall. Damit werden ihre Ladungsträger ähnlich frei beweglich wie die von Kristallen. Sie sind deshalb für Anwendungen gut geeignet – aber Produktion und Verarbeitung sind sehr aufwändig. Viele Forschergruppen wollen daher die Vorteile beider Materialtypen – der Kristalle und der Polymere – nutzen und hoch geordnete, leicht zu verarbeitende molekulare Systeme erzeugen.
Jetzt ist es Wissenschaftlern am Max-Planck-Institut für Polymerforschung und ihren amerikanischen Partnern mit einem einfachen Trick gelungen, die gewünschten Eigenschaften der klassischen Polymere und der Kristalle zusammenzubringen. Die Forscher synthetisierten zusammenhängende Strukturen, so genannte Cluster, aus konventionellen organischen Molekülen und Polymeren. Diese Cluster sind fluorhaltig. Die Polymere verästeln sich zunächst wie Dendriten, also baumartige Kristallstrukturen. Die Experten hängten dann an die Enden dieser Verzweigungen einzelne chemische Gruppen, die entweder als Donatoren Elektronen freisetzen oder als Akzeptoren freie Elektronen einbinden können. Die Dendritenbäume formen sich dabei zu kuchenstückartigen Bauteilen. Diese Kuchenstücke organisieren sich von selbst zunächst zu aromatischen Molekülringen, die an einen runden Kuchen oder eine Münze erinnern. Diese molekularen Münzen stapeln sich dann von selbst zu „Geldrollen“ - winzigen molekularen Zylindern. Diese Zylinder sind etwa 3 Nanometer (millionstel Millimeter) dick und 50 bis 100 Nanometer lang. Solche Zylinder haben eine hohe räumliche Ordnung, die weit über die Abmessungen einzelner Moleküle hinaus reicht – sie sind supramolekulare Strukturen. Beide Bestandteile (die organischen Materialien und die Polymere) können als Donator- oder als Akzeptor- Gruppe genutzt werden. Sie geben also unter Lichteinwirkung entweder Elektronen für eine n-Leitung ab oder "fressen" Elektronen und sorgen so für eine p-Leitung.
Mit diesem neuen Verfahren lassen sich durch Selbstorganisation aus unterschiedlichen organischen Materialien bestimmte supramolekulare Flüssigkristalle herstellen: Sie enthalten in ihrem Zentrum die Donator-Akzeptor-Komplexe und haben viel versprechende optoelektronische Eigenschaften. Selbst ungeordnete Polymere verbinden sich auf diese Weise zu wohl definierten Zylindern. Das Fluor sitzt in der Peripherie der Moleküle und schützt so – fast wie eine Teflonbeschichtung – das Innere der Zylinder vor äußeren Einflüssen wie Feuchtigkeit. Die Forschungsgruppe von Hans Wolfgang Spiess, Direktor am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz, brachte in das Projekt vor allem eine entscheidende Kompetenz ein: ihre Erfahrung in der kernmagnetischen Resonanzspektroskopie (Nuclear Magnetic Resonance, NMR) an Festkörpern. Für die optoelektronischen Eigenschaften der Nanozylinder ist die Stapelung der aromatischen Ringsysteme – der „Münzen“ – entscheidend. Mit einer besonders raffinierten neuen NMR-Technik konnten die Mainzer Forscher die Anordnung der nur wenige Nanometer großen zylinderförmigen Strukturen aufklären. Die Genauigkeit reichte dabei bis auf das Abstandsniveau zwischen einzelnen Wasserstoffatomen - entsprechend etwa 3,5 Ångström (zehntel milliardstel Meter).
Solche Informationen sind für das Maß der elektronischen Leitfähigkeit entscheidend. Zudem fanden die Mainzer NMRSpezialisten, dass in den sehr regelmäßig gepackten Nanostrukturen sich die Zylinder immer senkrecht zu deren Oberfläche anordnen. Dabei sitzen die Zylinder sehr dicht: Auf einen Quadratzentimeter konnten die Forscher eine Billion Nanozylinder nachweisen.
Der Erfolg dieses Projekts beruht wesentlich auf der heutigen Leistungsfähigkeit der NMR-Spektroskopie. Sie braucht nur geringe Substanzmengen für zuverlässige Resultate und kann diese darüber hinaus in kürzester Zeit – im wörtlichen Sinn „über Nacht“ – produzieren. Zusammen mit den Informationen über Synthese und Funktion der neuen Materialien sind dadurch bereits jetzt wichtige Details ihrer molekularen Strukturen bekannt. Sie erlauben es, die neuen Materialien sehr bald in elektronischen Bauelementen einzusetzen. Besonders faszinierend erscheint die Möglichkeit, jeden einzelnen Zylinder in diesem Molekülverband separat als supramolekulares, optoelektronisches Bauelement zu nutzen. So könnten diese Bauelemente eine ernst zu nehmende Alternative zur heutigen Molekularelektronik werden.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/materie/nanostrukturen/nanozylinder/